Eine eigene Frau
seine Leiche mitmache.
»Vater würde auf die Bühne springen und mir die Haare ausreißen.«
»Es gibt ja Ordner hier.«
»Trotzdem.«
»So weit würde er nicht gehen.«
»Vater ist alles zuzutrauen.«
Aber das wäre nicht einmal das Schlimmste, denkt Saida, sondern dass die Mutter wieder einmal an Stelle anderer leiden müsste. Ihre Schwester Siiri sagt zwar, Saida solle sich deswegen nicht grämen. Sie wisse ja: Wenn der Vater aus dem einen Grund die Mutter nicht peinigt, dann aus einem anderen. Siiri findet, die Mutter solle sich mehr gegen den Vater wehren und nicht bloß Tränen vergießen, wenn er so richtig gemein wird.
Kustaa sagt, in diesen Zeiten seien bei jedem die Nerven überstrapaziert. Wenn nur endlich der verdammte Krieg aufhören würde, damit die Schiffe verkehrten wie früher und die Leute Arbeit hätten. Und in ihrer Heimat blieben.
Er steht auf, reckt seinen schweren Körper und steckt sich eine Zigarette an. Seine mehrfach geflickte Hose ist mit grüner und roter Farbe gesprenkelt. Mit taxierendem Blick stellt er sich vor die Rosenhecke und gesteht davon zu träumen, Joel Tammisto für die männliche Hauptrolle zu gewinnen, aber ob der je wieder nach Hause käme?
Saida zuckt mit den Schultern. Er scheine sich dort wohlzufühlen, in Tampere. Wie auch sein Freund Sakari Salin. Sie empfindet ein von Schmerz durchsetztes Wohlgefühl, den Namen des Mannes laut aussprechen zu können.
Ja, im Steinbruch gibt es noch Arbeit genug, stimmt Kustaa zu. Und beim Klopfen von Grabsteinen. Aber es lasse sich nicht bestreiten, dass Joels Fortgehen eine klaffende Lücke in den sozialistischen Reihen des Dorfes hinterlassen habe. Eine Kluft geradezu.
In einem plötzlichen Anfall von Vertrauen preist Kustaa Joels virtuose Fähigkeit, vor dem Publikum Momente einer besseren Welt aufblitzen zu lassen, die einzig und allein vom Sozialismus errichtet werden kann. Wie könne er, Kustaa, dem es selbst an jeglicher persönlicher Strahlkraft fehle, nicht einen Mann wie Joel bewundern. Würde er, Kustaa, bei einer Versammlung aufs Rednerpodest steigen, würde kein Mensch sich ins Lager der Sozialisten locken lassen.
»Nicht doch.«
So verhalte es sich unleugbar trotzdem, aber nach einiger Überlegung habe er sich auch fragen müssen, ob die Abwesenheit von Joel Tammisto denn Grund genug sei, um aufzugeben und jede Stärkung des Sozialismus in diesem elenden Dorf gänzlich in den Wind zu schlagen.
»Sicher nicht.«
Herausfordernd reckt Kustaa den Pinsel in die Luft, ohne Saidas melancholischem Tonfall Beachtung zu schenken.
»Ganz bestimmt nicht«, sagt er. Nachdem er lange die Sachlage untersucht habe, glaube er endlich, ein Mittel gefunden zu haben, mit dem auch ein grober Klotz wie er den Kampf für eine bessere Welt fortsetzen könne.
Saida bemüht sich ihrer unvernünftigen Wehmut zu entrinnen und sich darauf zu konzentrieren, was Kustaa ihr zu sagen versucht.
Saida wisse ja, dass er immer viel gelesen habe, sagt Kustaa. Er habe ungelogen fast jedes Buch und jede Zeitung gelesen, die ihm in die Hände geraten seien. Und der Schöpfer allein wisse, was für eine höllische Mühe es ihn gekostet habe, an sie heranzukommen. Wenn Saida nur wüsste, wie er sogar auf dem Markt von Turku bisweilen allen möglichen Bengeln habe trotzen müssen, die lieber einem Schwellkopf auf die Schnauze hauen als ihn Lesefutter hamstern sehen.
Verblüfft beobachtet Saida Kustaas freie Hand, die sich wedelnd zu den kleinen hellroten Knospen zwischen den grünen Blättern hin ausstreckt.
Kustaa runzelt das Gesicht. Seiner Meinung nach lautet die eigentliche Frage, was für einen verdammten Nutzen die ganze harte Lesearbeit gehabt haben soll, wenn die moralisch und gesellschaftlich anspornenden Geschichten nicht jene Menschen erreichen, für die sie gedacht sind.
»Doch wohl keinen?«
»Genau. Überhaupt keinen. Kein verflixtes bisschen.«
Aber wie Saida eigentlich selbst hätte erkennen müssen, ist die Lösung schließlich ganz einfach gewesen. Geradezu genial und erschütternd selbstverständlich. Eine Geschichte, die vor Publikum aufgeführt werde, frage nicht nach Schulbildung, ja verlange nicht einmal die Fähigkeit zu lesen. Es genüge, wenn man Augen und Ohren habe. Und das sei bei den meisten ja der Fall. Man brauche nur ausreichend gute und strahlende Darsteller. Freilich sei auch der Anteil des Regisseurs am gelungenem Endergebnis nicht völlig unbedeutend. Insofern sei es schade, dass Saida nicht bereit sei
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