Eine eigene Frau
ein feuchter Fleck entstanden. Das Kind will ein zorniges Weinen anstimmen, worauf Saida es in die Höhe hebt und sinken lässt und wieder hebt und sich dabei zwingt, möglichst beiläufig zu fragen, woher der Onkel Lennu all das wisse, was in Tampere so vor sich gehe. Aus den Briefen seines Schwiegersohns?
Lauri lacht laut auf, verstummt jedoch, als er den furchteinflößenden Blick seines Vaters sieht. Lennu erklärt, er habe die Briefe des Gauners nicht gelesen. Und werde sie auch nicht lesen. Naima beeilt sich zu erzählen, Mama Salin habe sowohl Geldsendungen als auch Briefe von ihrem Sohn erhalten. Darin habe Sakari versichert, er fühle sich sehr wohl in Tampere.
Saida spürt den Stich der blinden Eifersucht. Womöglich hat Lennu recht? Vielleicht hat sich Sakari tatsächlich in eine schöne Städterin verguckt und gar nicht mehr die Absicht, in sein Heimatdorf zurückzukehren. Das Kind bemerkt, wie sich Saidas Körper versteift, und quengelt immer lauter.
»Was sollen wir dem Sundberg jetzt antworten?«
Lauri interessiert sich nicht für das, was Joel und Sakari treiben, sondern einzig und allein für seine Arbeit im Sägewerk. Was sagt die Mutter nun?
»Ist das Thema nicht längst ausgehandelt?«
Lennu gießt das Waschwasser in den Ausgusseimer und wirft von unten herauf einen grimmigen Blick auf seine Frau.
»Ein ausgewachsener Mann kann nicht hingehen und sagen, die Mama lässt mich nicht. Anderen Frauenzimmern wäre eine dickere Lohntüte schon recht, aber in dieser Familie scheint das anders zu sein. Da werden zwar zusätzliche hungrige Mäuler angeschleppt, aber der große Bursche darf nicht arbeiten, wenn es endlich mal Arbeit gibt.«
Naima nimmt das Kind und fängt an, es mit Brei zu füttern.
»Na, dann soll von mir aus auch Lauri verkrüppelt werden, wenn man ihn sonst nicht totkriegt!«
Saida macht sich auf den Heimweg. Lauri, der seine freudige Erleichterung wohlweislich für sich behält, folgt dem Mädchen nach draußen und zieht sofort auf der Treppe mit männlicher Gebärde die halb aufgerauchte Zigarette aus der Tasche. Doch gerade als er sie angezündet und einen tiefen, genüsslichen Zug genommen hat, geht die Tür hinter ihm auf.
Die Mutter, natürlich.
Naima hat den Ausgusseimer in der einen Hand, Taistos Topf in der anderen. Sie schaut auf ihren Sohn, der sich nun den Männern beim Holzschleppen anschließen wird, und sie schaut auf die Zigarette. Lauri steht unter der Veranda und blickt irgendwo in die Ferne. Saida glaubt sein Herz schlagen zu hören wie einen Eisenhammer. Oder aber das Pochen dringt aus ihrem eigenen Herzen, in dem gerade der Samen einer entsetzlichen Verzweiflung gesät worden ist. Naima schiebt sich an ihnen vorbei und schmunzelt. Aber sie sagt kein Wort.
Lauri verfolgt den stummen Marsch seiner Mutter quer über den Hof. Saida sieht ihn an, doch sein Gesicht bleibt ausdruckslos. Ein Mann bleibt bei seiner Linie.
1915
Am 17. Januar starb Ida Aalberg, die beste Schauspielerin Finnlands.
23. Mai. Italien erklärte Österreich den Krieg.
6. August. Fing an, Bretter zu sägen.
Die Deutschen marschieren in Warschau ein.
Am 8. August sägte ich mir einen Finger ab.
Am 20. August pflückte ich 30 Liter Preiselbeeren.
Am 21. August erklärte Italien der Türkei den Krieg.
30. August. Sakari verließ Tampere.
7. September. Bin aus Tampere weg.
9. September. Bin in Vartsala angekommen.
11. September. Fing im Sägewerk in Vartsala zu arbeiten an.
20. September. Habe mit der langen Schnur 111 kg Brassen gefangen.
26. September. Habe eine Kuh gekauft und 110 Mark bezahlt und für 2 Stiere 110 Mark.
10. Oktober. War auf der Hochzeit von Saida Harjula und Sakari Salin im Haus der Genossenschaft.
11. Oktober. Bekam vom Arzt die Bestätigung, dass mein Finger gesund ist.
14. November. War auf der Beerdigung von August Kalanter in Viurila.
4. November. Fing an, beim Puustelli-Haus Brennholz zu hacken.
11. Dezember. Bin zur Bezirksversammlung nach Turku gefahren und am 15. zurückgekommen.
Saida, 19
Vartsala, April 1915
Es ist eine große Enttäuschung für Saida, dass man Der Widerspenstigen Zähmung als neues Stück für die Theateraufführung des Arbeitervereins ausgewählt hat. Für die Leseprobe hat sich Saida nämlich auch mit einem anderen Stück desselben Verfassers vertraut gemacht, der wunderbar traurigen Geschichte von Romeo und Julia, zweier Liebender, die einem tragischen Ende entgegengehen. Warum hat man das nicht genommen?
Als sie beim
Weitere Kostenlose Bücher