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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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Tochter.
    Mit wachsender Verblüffung muss Saida zugeben, dass sie auch diesen Gesichtspunkt nicht erkannt hat.
    »Und die Widerspenstige?«
    Kustaa lächelt so triumphierend breit, dass sich sein Gesicht zusammenzieht wie bei einem Frosch.
    »Na hör mal. Sie ist doch die Kämpferin. Mit einem Wort: die Sozialistin.«
    »Die Sozialistin?«
    Kustaa erläutert, gerade weil sie opferbereit sei und das Allgemeinwohl an erste Stelle rücke, sei bewiesen, dass in der Brust der Widerspenstigen die unauslöschliche Flamme des Sozialismus lodere.
    Saida erzittert. Sie spürt deutlich, wie die Flamme auch ihr eigenes Inneres versengt. Noch immer aber ist ihr unklar geblieben, warum Katharina sich bis zum Schluss von diesem grässlichen Mann Vorschriften machen lässt.
    »Genau. Gute Frage«, sagt Kustaa.
    Außer Atem von seinem Vortrag sinkt er auf der Holzbank zusammen und gibt zu, sich in den finsteren Stunden der Nacht über dasselbe Problem den Kopf zerbrochen zu haben. Aber nun, Saida wisse ja, dass dieses Schauspiel vor vielen hundert Jahren geschrieben worden sei, als es die Handlungsprinzipien des sozialistischen Idealstaates noch nicht gegeben habe. Der Verfasser habe zuallererst danach trachten müssen, den englischen Aristokraten und Bürgern zu gefallen. Aber nun herrschten andere Zeiten, und als Zuschauer kämen aufrechte Arbeiter und Arbeiterinnen, die in der Tat keinerlei beschämende Unterwerfung mehr hinnehmen müssten. Darum sei er, Kustaa, zu dem Entschluss gekommen, dass am Schluss des Stückes ein wenig zu feilen wäre.
    »Zu feilen? Wie denn das? Kann man das tun?«
    Natürlich kann man das. Kustaa hat sich gedacht, dass die Widerspenstige nicht nach dem ursprünglichen Text gezähmt werde, sondern dass sie im Gegenteil auch an der Seite ihres Mannes andere Menschen mit der Idee der Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit anstecke. Ja, doch, Saida brauche da gar nicht so erstaunt dreinzuschauen, denn er, Kustaa, habe alles genügend von allen Seiten bedacht und beschlossen, dass die Eheleute am Ende des Stücks ihr unnatürlich großes Vermögen unter den Dienstboten und Armen verteilen. Gleichzeitig verkünden sie dem Publikum, in der sozialistischen Idealgesellschaft müsse keine Frau, kein Mensch, sich als Handelsware hergeben.
    Wie also laute Saidas endgültige Antwort? Werden die Leute aus dem Dorf Saida Harjula in der enorm wichtigen Rolle der Widerspenstigen sehen, oder muss Kustaa die Fanny Nieminen bitten?

Arvi, 18
    Herrenhaus Joensuu, Juni 1915
    Arvi ist mit der Ausbildung der Stute Natalia beschäftigt, als er das Gespann, das ausgeschickt worden ist, den Schweden-Besuch abzuholen, in die lange Birkenallee des Herrenhauses einbiegen sieht. Er reitet den Gästen entgegen und trifft an der Stelle mit ihnen zusammen, wo einer der Bäume voller Knorren ist. Schon seit vielen Jahren fehlt der Birke die Kraft, an ihren äußeren Zweigen Blätter zu bilden. Onkel Olof meint, sie müsse im Winter gefällt werden.
    Die müden Reisenden sind in dem staubigen Wagen, den lediglich zwei Pferde ziehen, eingenickt. Arvi lässt die Chaise passieren und zwingt Natalia hinterherzugehen, obwohl sich die dreijährige Stute für die eingespannten Wallache interessiert. Der Junge drückt ihr die Waden in die Flanken und hält festen Gebisskontakt, weshalb das Tier die Macht nicht an sich reißt, obwohl vor dem Wagen etwas Sonderbares passiert.
    Das ganze Gespann samt Kutsche fährt plötzlich auf den Straßengraben zu! Bengt Nilsson ist mit den Zügeln in der Hand eingeschlafen, worauf der links gehende Wallach Nestor als der Stärkere das Gespann auf seine Seite zieht und der schwächere Hector zwangsläufig von der Richtung abweicht. Sofort treibt Arvi die Stute an und reitet in die Lücke zwischen Gespann und Birkenreihe. Er zwingt Natalia, im Seitenschritt zu gehen, damit die Wallache in die Spur zurückfinden. Nun schreckt auch Bengt auf und fängt wieder an zu lenken, als hätte er nie etwas anderes getan.
    Arvi lässt Natalia im Schritt nebenhergehen. Er ist enttäuscht, denn Nora sitzt nicht in der Kutsche, obgleich er das erwartet hatte. Stattdessen sitzt neben Paul ein rothaariger Junge, etwas älter als Paul, aber eindeutig jünger als Arvi. Als der Graf von den Gästen aus Stockholm im Plural sprach, nährte Arvi sogleich die Hoffnung, Nora käme doch mit. Dabei hätte er eigentlich wissen müssen, dass sie keine Lust hätte, die Reise auf dem anstrengenden Landweg zu machen, jetzt, da man nicht mehr

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