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Eine eigene Frau

Eine eigene Frau

Titel: Eine eigene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Lander
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ist, hebt es auf und drückt es Arvi in die Arme.
    »Die eine kriegen wir.«
    Perplex steht Arvi mit dem Bündel da. Er kennt die Kleider gut. Anders macht eine Kopfbewegung zu einer Kiefer, die am Ufer steht, und befiehlt Arvi, die Kleider nach oben zu bringen, und zwar weit genug hinauf.
    »Für so ein Eichhörnchen wie dich sollte das ja ein Kinderspiel sein, nicht?«
    Für einen Moment will Arvi daran glauben, dass der Junge aus Stockholm schlicht und einfach einen kindischen Streich spielen will.
    »Nur kleine Kinder tun so etwas.«
    Anders fixiert Arvi herausfordernd mit gereizter Miene.
    »Wir sind keine Hosenscheißer, und wir spielen auch keinen Streich.«
    Arvi will dem Blick des Jungen nicht begegnen, er schaut aufs Meer. Man sieht den Kopf des Mädchens im Wasser, etwa 40 Meter entfernt. Arvi wirft die Kleider auf den Felsen und dreht sich um.
    »Jetzt gehen wir«, ruft er.
    »Du gehst nirgendwo hin«, widerspricht Anders im Befehlston, und etwas an seiner Stimme jagt Arvi einen kalten Schauer über den Rücken, obwohl es heiß ist. Er erstarrt auf der Stelle. Auch wenn Arvi sich noch so sehr bemüht, einen aufsässigen Eindruck zu machen, spürt er, wie sein Gesicht zu einer sklavenhaften Grimasse gefriert.
    Anders hebt einen langen Ast auf, schlingt zuerst den blauen Rock herum und bindet dann die weiße Bluse mit den Ärmeln daran fest. Mit dem Ast zielt er auf den Baum. Zu Arvis Verblüffung gelingt bereits der erste Wurfversuch. Saidas Rock und Bluse hängen nun so hoch, dass man vom Boden aus nicht herankommt. Die weiße Unterhose mit den langen Beinen liegt noch immer vor Anders’ Füßen auf dem Felsen. Der Junge stellt einen Fuß darauf.
    »Die muss sie sich verdienen.«
    Anders raunt das so leise, dass sich Arvi nicht sicher ist, ob er richtig gehört hat.
    Mit gleichmäßigen Zügen schwimmt Saida auf das Ufer zu. Sie hat die Jungen schon von Weitem gesehen. Natürlich hat sie sie gesehen. Aber erst jetzt ruft sie ihnen auf Finnisch etwas zu, inmitten der Wellen und vom Schwimmen außer Atem, sie befiehlt ihnen, sich aus dem Staub zu machen, und zwar ein bisschen plötzlich.
    »Was hat sie gesagt?«
    »Sie will, dass wir gehen.«
    »Hat sie denn schön darum gebeten?«
    Arvi zuckt mit den Schultern. Anders befiehlt ihm zu antworten, sie würden nirgendwohin gehen. Im Gegenteil, sie müsse herkommen, wenn sie ihre Kleider wiederhaben wolle.
    »Sie kann Schwedisch. Ich tu das nicht. Am besten, wir verschwinden jetzt in Frieden. Ich gehe jedenfalls.«
    »Ich auch«, piepst Paul.
    Anders ist mit einem Satz vor Arvi, packt ihn am Arm.
    »Wie soll das Mädchen seine Kleider bekommen, wenn der Meisterkletterer sich aus dem Staub macht?«
    Saida spürt bereits Boden unter den Füßen. Sie geht im Uferwasser in die Hocke, die Hände bedecken die Brüste.
    »Hört ihr nicht? Arvi?«
    Saida redet noch immer Finnisch.
    »Suchst du die hier?«
    Anders schwenkt die Unterhose mit einem Stock. Man sieht den Abdruck seiner Schuhsohle auf dem Stoff. Saida antwortet nicht.
    »Dann kommt schön brav her und hol sie dir!«
    Anders nimmt die Hose in die Hand. Als nichts passiert, reißt er einen Knopf ab und schnippt ihn mit dem Zeigefinger zu dem im Wasser kauernden Mädchen.
    Dann den zweiten.
    Und den dritten.
    Plitsch, plitsch, plitsch.
    Arvi hat sich abgewandt, doch zu spät. Sein Atem ist bereits blockiert, und der Schweiß läuft.
    »Arvi?«
    Das Mädchen wirft ihm einen Blick zu und wägt noch eine Weile die verschiedenen Möglichkeiten ab. Dann richtet sie sich plötzlich zu ihrer gesamten beeindruckenden Körpergröße auf und marschiert in soldatischer Haltung ans Ufer. Sie marschiert über den Sand zum Felsen, geradewegs auf Anders zu und sieht ihm dabei unablässig in die Augen, bis sie unmittelbar vor ihm stehen bleibt. Da steht sie dann, nackt und nass, und berührt den Jungen fast. Sie hat Gänsehaut, aber sie steht regungslos, aufrecht und mit erhobenem Kopf da, die Füße parallel, die Hände mit den geballten Fäusten fest an die Seiten gedrückt.
    Anders tritt einen Schritt zurück, und die Unterhose fällt ihm aus der Hand. Das Mädchen schenkt dem Kleidungsstück keine Beachtung.
    »Und? Was willst du?«
    Sie spricht jetzt Schwedisch, aber Anders antwortet nicht. Saida wartet eine Zeit lang. Als keine Antwort kommt, wiederholt sie die Frage. In Arvis Bauch rumort es, und es presst ihm das Herz zusammen, unwiderstehlich zieht ihn die Erde an. Lediglich aus Pauls Mund dringt ein schwaches

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