Eine eigene Frau
Händen.
Saida lacht ungläubig.
»Beim Teppichwaschen? War das denn so schrecklich? Die blöden Bengel haben sich mit meinen Kleidern einen Scherz erlaubt wie kleine Lausejungen. Hätte ich denn im Wasser bleiben und vor Kälte schlottern sollen? Viele Möglichkeiten gab es nicht.«
In dem Moment geht die Tür auf, und Emma kommt herein. Sie macht den Mund auf, um etwas zu sagen, schließt ihn aber sofort wieder, als sie das vom Weinen gerötete Gesicht ihrer Schwester sieht. Mit einer verzweifelten Grimasse erstarrt sie im Türrahmen. Erschüttert von der Ahnung, die sie beschleicht, blickt Saida abwechselnd auf ihre Mutter und ihre Tante.
»Was glaubt ihr, was da am Ufer passiert ist?«
Die Frauen sind mucksmäuschenstill.
»Glaubt ihr … glaubt ihr, ich …? Auch du, Mama?«
Olga drückt sich das Taschentuch auf die Augen.
»Großer Gott, das kann nicht euer Ernst sein!«
»Na, Esteri hat es erzählt … und dann auch viele andere.« Saida stampft vor Wut mit dem Fuß auf.
»Ach. Esteri und viele andere. Aber es ist euch nicht eingefallen, mich zu fragen?«
»Wir haben nicht gefragt, weil …«
»Wir haben uns nicht getraut …«
»Natürlich nicht. Und Arvi hatte auch keine Lust, mit seiner Heldentat zu prahlen.«
Die Frauen sehen einander verdutzt an.
»War Arvi dabei?«
»Ja, aber mit dem Hosenscheißer war nichts anzufangen. Ich musste den schwedischen Kasper selbst zur Schnecke machen.«
»Der Kasper …«
Die Mutter hält sich die Hand vor den Mund, noch voller Unglauben, dass ihnen allen doch noch auf so unfassbare Weise Barmherzigkeit widerfährt.
Aber nein, genau in diesem Augenblick wird Saida deutlich, das Anders Holm tatsächlich kein Kasper ist. Sie hat den Jungen auf fatale Weise falsch eingeschätzt. Während Olga und Emma nun die Hoffnung nähren, all die Wochen umsonst gelitten zu haben, fängt Saidas Albtraum jetzt erst an. Sie hat nicht begriffen, was man im Dorf und sicher auch im Herrenhaus über die Ereignisse jenes Waschtages im Juli denkt.
Kalt vor Verachtung hatte Saida sich eingebildet, die Lage am Ufer zu beherrschen, aber so war es nicht gewesen. Zumindest das Resultat hatte sie nicht unter Kontrolle behalten, das Bild, das sich aus dem Gerede im Dorf ergab.
Dem hochnäsigen schwedischen Rotschopf war es also doch gelungen, sie zu schlagen. Anders Holm hatte sich auf die schlimmste Art an seiner Demütigerin gerächt: indem er mit seiner grausamen Lüge den Menschen, die Saida am nächsten standen, das Leben schwer machte, der Mutter und dem armen Vater und ganz bestimmt auch Oma und Opa. Und was hatte Sakari von all dem gehalten?
Saida schnürt es die Kehle zusammen. Es ist unerträglich, den Gedanken zu Ende zu führen, aber sie muss es tun. Vor allem anderen richtet sich ihr Sinn auf die große und edle, aber ebenso unverzeihliche Tat, die der anständige Sägewerkarbeiter Sakari Salin offenbar aus purem Mitleid, aus Scham und aus dem Zwang, sich aufzuopfern, begangen hat.
Die Braut verlässt das Hinterzimmer, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Sie ergreift die Säume ihres Hochzeitskleids und marschiert ohne einen Blick nach rechts oder links durch den Festsaal, zur Tür hinaus ins Freie. Sakari steht etwas weiter weg an einer Eiche und lässt Wasser, er hat den anderen den Rücken zugekehrt. Joel sitzt mit zwei Männern auf dem Brunnendeckel, sie trinken aus der Flasche, die von einem zum anderen geht, und plaudern ausgelassen, Unanständiges vermutlich. Als Saida näher kommt, verstummen sie. Auch Sakari hat seine Braut bemerkt. Seine Lippen formen eine Frage, die Saida nicht versteht, so wie sie auch die verblüfften Bemerkungen der anderen Männer nicht hört.
Ohne das Marschtempo zu drosseln, ergreift Saida Sakaris Hand und zieht ihn mit sich über das ausgelaugte Gras zum Obstgarten. Dort, unter den nahezu blattlosen Apfelbäumen, bleibt sie stehen. Sakari wendet den Blick ab, aber Saida nimmt seinen Kopf zwischen beide Hände und zwingt ihn, ihr in die Augen zu schauen.
»Warum hast du mich geheiratet?«
Sakari, 32
Dezember 1915
Am Thomastag ist Sakaris Maß voll. Nachdem er Viki und Tekla zu seiner Mutter gebracht hat, damit sie bei der Weihnachtsbäckerei helfen, geht er zu Osku Venho und kauft ihm eine Flasche Selbstgebrannten ab. Seit der Hochzeit hat er keinen Tropfen getrunken, aber das hat nichts genützt. Saida ist offenbar nicht bereit, ihm jemals zu verzeihen. Das Schlimmste ist, dass Sakari nicht recht weiß, wofür er um Verzeihung
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