Eine eigene Frau
bitten soll.
Saida kümmert sich vorbildlich um Haushalt und Kinder und behandelt auch Sakari der Form nach einwandfrei. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass sie ihren Ehemann unversöhnlich hasst und verachtet.
Wenn er von der Arbeit kommt, bleibt Sakari bisweilen vor der Tür stehen und lauscht auf Saidas Lachen, wenn sie ihre Späße mit den Kindern macht. Und wenn er dann still im Flur der Mietskaserne steht, ist er sich schmerzlich bewusst, dass seine Frau sofort ernst sein wird, wenn er die Wohnung betritt.
Ja, die gemeinsamen Stunden des Tages sind quälend schwer, doch die Nächte die reine Hölle. In dem schmalen, ausziehbaren Bett liegen die beiden ganz dicht beieinander. Körperkontakt ist nicht zu vermeiden, auch wenn Sakari sich noch so sehr um Rücksicht bemüht und sich an den Bretterrand des Bettes drückt. Saida erstarrt bei jeder zufälligen Berührung zur Regungslosigkeit. Ihr langer Rücken strahlt gegenüber dem schmachtenden Mann nichts als Ablehnung aus.
Am Thomastag wurde vereinbart, dass die Kinder über Nacht bei den Großeltern bleiben. Sakari vermutet, seine Mutter habe das vorgeschlagen, damit das junge Paar endlich einmal Zeit für sich habe. Sakari glaubt, genau dies nicht einen Moment ertragen zu können.
Von Osku geht er zum Haus der Arbeiter, wo im Fenster des Büfettraums Licht brennt. Drinnen sitzt niemand außer Kustaa, der vor seiner Schwester geflohen ist und die Zeitung liest.
Er sitzt in einem Liegestuhl, der einst von einem Schiff auf den Müll der Werft geworfen wurde. Das Gestell war gebrochen und der Stoff eingerissen, aber Kustaa rettete und reparierte ihn und machte ihn zum Regiestuhl. Im Lauf der Jahre hat sich der verblasste, geflickte Markisenstoff verzogen und den wulstigen Formen von Kustaas Körper angepasst.
»Bist du mit deiner Frau noch nicht in Turku gewesen, um die bewegten Bilder anzuschauen?«, fragt er über die Zeitung hinweg.
»Nein, noch nicht.«
»Ich war letzte Woche im Scala. Da lief so ein Lustspiel mit dem Titel ›Charlies Besäufnis‹. Läuft anscheinend immer noch. Lustiger Kerl, da in der Hauptrolle: Charlie Chaplin.«
Sakari gießt Kustaa etwas in die Blechtasse. Er selbst trinkt aus der Flasche.
»Und dieses Schauspiel hier heißt ›Sakari Salins Besäufnis‹. Am Thomastag, so wie es sich für einen Mann gehört. Bloß ist das alles andere als ein Lustspiel.«
»Nun komm schon …! Im Alhambra läuft ›Die Erfindung des Teufels‹, ein Kriminalschauspiel. Frauen gefällt das vielleicht nicht so. Aber hier, ein Schwank, ›Wie ein junger Mann zu seinem Mädchen findet‹. Das wird Saida bestimmt …«
»Saida hasst mich.«
»Hä?«
Kustaa blickt völlig verdutzt auf.
»Sie wird mir nie verzeihen«, sagt Sakari.
»Was denn?«
Kustaa setzt die Brille ab und reibt sie an seinem Hemd.
»Ich weiß es nicht«, sagt Sakari.
»Ist es noch immer das böse Gerücht …?«
»Aber eines weiß ich. Es wird keine Gnade geben.«
»Das war doch alles dummes Zeug …«
Sakari nickt. Er gibt zu: Wer würde nicht bis tief ins Herz gekränkt sein von so einer gemeinen Lüge, aber dass man anscheinend nie darüber hinwegkommt …
»Warum muss ein Mensch aber auch eine so teuflische Schwester haben«, sagt Kustaa. Seine tiefe Stimme zittert leicht.
»Wenn es Esteri nicht getan hätte, dann hätte eben jemand anders die Geschichten herumerzählt. Wo sie schon einmal im Umlauf waren.«
Gerüchte sind Gerüchte. Es gibt immer welche, das versteht auch Saida, aber was sie nicht versteht, ist, dass alle, der eigene Bräutigam eingeschlossen, solch ein dummes Gerede als die Wahrheit schlucken.
Kustaa nickt und steht auf, um Scheite im Herd nachzulegen.
»Jedenfalls durften wir uns schön was anhören. Und das geschah uns auch ganz recht. Ich muss schon sagen, in dem Mädchen steckt so viel Mumm wie in einem ganzen Haus oder einem kompletten Dorf.«
Er schließt die Ofenklappe und lässt sich wieder auf seinen Stuhl fallen.
Stimmt, denkt Sakari irgendwie stolz. Wie sehr gekränkt sich Saida fühlte, ist niemandem verborgen geblieben.
Der Hochzeitsempfang hatte damit geendet, dass die nach außen hin beherrschte Braut gegenüber den Festgästen ihre tiefe Enttäuschung zum Ausdruck brachte – über den erbärmlichen Tratsch, dem das gesamte Dorf verfallen sei. Und vor allem darüber, dass sich niemand die Mühe gemacht habe, bei der einzigen Person, die die Wahrheit kannte, einmal nachzufragen.
Für was für eine Hure hielt man sie
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