Eine eigene Frau
stellte sich vor, wie er sie auf den Hals küsste, heimlich ihre Brüste berührte und schließlich die Hand unter den Rock schob. Ihre Scham wurde feucht, und sie drückte sich noch fester an den Mann, aber nichts geschah. Allmählich wurde sie sauer. Verflixt noch mal, ihr Bräutigam hatte viel zu viel Respekt vor ihr! Es war ärgerlich, geradezu himmelschreiend, dass er auch jetzt nicht auf die Idee kam, die Situation auszunützen. Kurz spielte Saida mit dem Gedanken, ihre Enttäuschung laut auszusprechen. Sakari brauchte wirklich nicht so verdammt zurückhaltend zu sein, so furchtbar ärgerlich anständig, er durfte es nicht! Immerhin waren sie verlobt, zum Donnerwetter.
Sie öffnete die Augen und bemerkte Sakaris finsteren, geradezu wütenden Gesichtsausdruck. Nun versuchte sie verschiedene Gesprächsthemen anzuschneiden, aber als Antwort kam immer nur ein Brummen. Plötzlich war sich Saida sicher, dass Sakari den Kauf der teuren Schuhe schwer bereute und seine Braut für ein dummes, flatterhaftes Ding hielt, weil sie sich in so schlechten Zeiten zu einem so leichtfertigen Kauf verleiten ließ. Aber er hatte doch selbst darauf bestanden! Tränen des Selbstmitleids stiegen Saida in die Augen.
»Ich fahre mit dem nächsten Zug zurück und trage die verdammten Schuhe wieder in den Laden. Bestimmt lässt sich der Kauf rückgängig machen, weil sie ja noch unbenutzt sind.«
Sakari schaute sie mit gerunzelter Stirn an.
»Wenn jemand in den Laden zurückgeht, dann ich. Um dem geifernden Bengel aufs Maul zu hauen.«
Saida begann zu dämmern, dass Sakari wegen der Schmeicheleien des Verkäufers vor Wut kochte. Besonders zornig geworden war er wegen dessen Art, Saidas Füße zu betatschen.
Die überraschend entflammte Eifersucht des Mannes erstaunte Saida. Erregte sie aber auch. Sie zog seinen Kopf zu sich heran und küsste ihn heftig auf den Mund. Kurz erwiderte er den Kuss, stieß sie dann aber seufzend auf ihren Platz zurück. Wieder einmal war es Saidas Los, sich für ihre Unbeherrschtheit zu schämen.
»Darf ich die junge Liebe mal kurz stören? Ich hätte mit dem Bräutigam etwas unter vier Augen zu besprechen …«
Joel steht hinter ihnen, eine Hand tätschelt vielsagend die Brusttasche.
»Kommt der junge Gatte kurz mit raus?«
Sakari zeigt Joel beschämt das Loch, das seine Zigarette in Saidas Kleid gebrannt hat.
»Verflucht, wenn man so ein Trottel ist.«
»Sprühen bei euch schon so heiße Funken, dass die Braut fast in Flammen aufgeht?«
Sakari wirft Joel einen bösen Blick zu.
»Zum Glück kann’s die Tante flicken.«
Saida streicht ihrem Mann über die Wange.
»Die Olga, ja. Bleib nicht zu lange weg. So ein kleines Loch zu flicken, dauert nicht lang.«
Saida huscht in den Festsaal. Ihre Mutter und Tante Olga sind nicht zu sehen. Am Fenstertisch zieht Herman mit beiden Händen sein Gesicht in die Länge, um den anderen Männern am Tisch anschaulich zu machen, was Kampfgas mit der Visage eines Menschen anstellt. In Ypern seien die Franzosen angeblich reihenweise dem gelben Gas der Deutschen zum Opfer gefallen. Innerhalb weniger Minuten werde das Gesicht schwarz, man huste Blut und sterbe.
»Klar, da zerreißt es dir die Lunge wie einen Reisigzaun im Sturm. Versuch damit mal zu atmen.«
Osku Venho merkt an, er habe von einem Trick gehört. Wenn man aufs Taschentuch pinkle und es dann vors Gesicht halte, beschädige das Gas die Lunge nicht. Manch ein Soldat habe auf diese Weise seine Haut gerettet.
Verwalter Sundberg weigert sich zu glauben, dass Offiziere so etwas täten. Ein Gentleman sterbe lieber, als sich auf die Ebene von Tieren hinabzubegeben.
»Ach ja? Hat der Herr Verwalter denn schon mal ein Tier aufs Taschentuch pissen sehen?«, fragt Osku nach.
Die Männer schwitzen in ihren dunklen Anzügen. Kinder rennen umher, manche kriechen auch unter den Tischen herum, die Taschen vollgestopft mit Plätzchen. Esteri Vuorio, die mit dem Rücken zur Tür am Frauentisch sitzt, bemerkt das Hereinkommen der Braut nicht. Sie spricht mit gesenkter Stimme davon, dass der Pastor dem Brautpaar keine Bibel gegeben habe.
»Aus gutem Grund, wie man sehr wohl weiß.«
Verlegen erblickt Naima Lindroos Saida hinter Esteri stehen.
»Genau, die Pfarrer sind nicht bereit, Bibeln ins Haus der Arbeiterschaft zu tragen. Wenn sich ein Paar nicht in der Kirche trauen lassen will, muss es die Bibel selbst im Pfarrhaus abholen.«
Esteri quittiert die Erklärung mit einem düsteren Lachen.
»Was für einen
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