eine Elfenromanze
alle Tiere schwarz und sie hatte Schwierigkeiten, Liones’ Stute ausfindig zu machen. Unschlüssig sah sie sich um. Es gab nicht einmal Namensschilder an den Boxentüren. Wenn sie das falsche Pferd erwischte, würde man sie auch noch wegen Viehdiebstahls hinrichten!
Aus dem Geschrei, das von draußen hereindrang, schloss Selina, dass man bereits die Gartenanlage nach ihr durchsuchte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man sie hier finden würde.
„Ranora!“, rief sie in die Dunkelheit hinein. „Ranora! Bist du hier?“
Nichts.
„Ranora! Wer ist die schönste Stute im Stall?“
Im hinteren Teil der Stallungen wieherte es. Selina ging den Geräuschen nach. Dort stand Ranora und blickte ihr neugierig entgegen. Die Halbelfe stieß die Boxentür auf. Die Stute tänzelte nervös und wich vor ihr zurück.
Selina trat an sie heran und legte ihr die Hand auf die Stirn. „Ganz ruhig“, flüsterte sie. „Dein Herr schickt mich. Du sollst mich von hier forttragen.“ Sie bemühte sich, dem Pferd eine gewisse innere Ruhe zu vermitteln. So aufgewühlt, wie sie selbst war, fiel ihr das keineswegs leicht. Ranoras Nervosität legte sich langsam und sie ließ die Halbelfe ohne Protest auf ihren Rücken steigen.
„Ihr Götter, ist das hoch!“ Selina blickte voll Unbehagen an der Stute hinab. Sie war als Kind einmal auf einem Esel gesessen, doch das war nichts im Vergleich zu einem Pferd, noch dazu ohne Sattel und Zaumzeug. Doch Selina war von Blutes her zumindest zur Hälfte eine Elfe. Für sie sollte dies hier eigentlich ein Kinderspiel sein!
Sie nahm all ihren Mut zusammen und presste ihre Schenkel gegen Ranoras Flanken. Das Pferd wieherte laut und bäumte sich auf den Hinterbeinen auf. Selina schrie in Panik und krallte sich in der Mähne des Tieres fest. Nur mit Mühe gelang es ihr, einen Sturz zu verhindern. Ranora sprang vor und sauste durch den Stall.
Eine Wache öffnete in dem Moment die Tür, als Pferd und Reiter aus dem Gebäude preschten. Ranora rannte den Mann einfach über den Haufen.
Selina hatte gehörige Schwierigkeiten das Tier zu lenken und so drehten sie eine große Runde durch die Gartenanlage, bevor die Halbelfe der Stute begreiflich machen konnte, dass sie durch das Tor wollte. Ein Pförtner sah überrascht zu, wie sie in die Nacht hinaus galoppierten.
Die Jagdhütte
Die Sonne hätte längst aufgegangen sein müssen, doch der Himmel war von dunklen Wolken verhangen. Ametar lag fahl und grau im Zwielicht, als Ranora die Färbergasse entlang auf das Gasthaus Zur Singenden Maid zutrottete. Selina saß mit hängenden Schultern auf dem Rücken der Rappstute. Sie war müde und erschöpft. Die ganze Nacht über war sie ziellos durch die Gegend geritten. Sie hatte lange nicht nach Hause gewollt – nicht gewollt, einem bekannten Gesicht zu begegnen. Sie hatte diese Zeit nötig gebraucht, um sich über einige Dinge klar zu werden und die Ereignisse des letzen Abends zu überdenken. Jetzt fühlte sie sich nicht erleichterter, doch sie war sich nun zumindest sicher, dass sie gemäß ihrer eigenen Grundsätze gehandelt hatte und ihre Taten mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte. Sie stand zu dem, was sie getan hatte.
Vor dem Eingang zum Gasthof angekommen, rutschte Selina ungeschickt von Ranoras Rücken. Ihre Glieder waren steif von dem langen Ritt. Unschlüssig sah sie sich um. Was sollte sie nun mit der Stute machen? Immerhin konnte sie diese nicht einfach hier stehen lassen! Und was würde Bruna sagen, wenn sie das Tier quer durch die Wirtsstube in den Hinterhof führte? Das Pferd einfach davonzujagen und zu hoffen, dass es den Weg zurück zur Grafschaft fand, war ebenfalls keine zufriedenstellende Lösung.
In dem Moment kam Adorata die Straße entlang. Als das Schankmädchen Selina erkannte, verschränkte es demonstrativ die Arme vor der Brust und rief in spöttischem Ton: „Ach! Du kommst jetzt erst? Siehst ziemlich mitgenommen aus! Das muss ja wahrlich eine lange und wilde Nacht mit dem jungen Emnesthar gewesen sein! Man erzählt sich, dass du dich seinetwegen sogar geprügelt hättest.“
„Hör auf, Adorata“, bat Selina müde. „Du weißt doch ganz genau, was geschehen ist. Selbst wenn ich es gewollt hätte, wäre es mir unmöglich gewesen, intimeren Kontakt mit Liones zu haben.“
Adorata schwieg. Genau genommen wusste sie von dem Vorfall letzte Nacht reichlich wenig. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt in einem der dunkleren Gänge des Schlosses ihre eigene Liebschaft gepflegt und den
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