Eine ewige Liebe
saß an einem alten Tisch aus Korbgeflecht, eine Öllampe erleuchtete das kleine Zimmer. Vor ihr ausgebreitet lag ein Kartenset, sorgfältig in zwei Re ihen geordnet. Es waren die Karten der Vorsehung, jede in einer Ecke mit dem schwarzen Sperling bedruckt. Ihr gegenüber saß ein großer Mann, dessen kahler Kopf im Licht der Öllampe glänzte.
»Die blutende Klinge. Der Zorn des Blinden. Das Versprechen des Lügners. Das gestohlene Herz.« Stirnrunzelnd schüttelte sie den Kopf. »Eines ist klar, das bedeutet nichts Gutes. Wonach du trachtest, wird dir verwehrt bleiben. Und dein Ehrgeiz verschlimmert die Sache nur noch.«
Der Mann fuhr mit seinen großen Händen nervös über seine Glatze. » Was soll das heißen, Sulla? Hör auf, in Rätseln zu sprechen.«
»Es bedeutet, dass du nicht das bekommst, was du willst, Angelus. Die Hohe Wacht muss keine Karten lesen, um zu wissen, dass du ihre Re geln mit Füßen trittst.«
Angelus stieß sich heftig vom Tisch ab. »Ich brauche sie nicht. Ich habe andere Hüter, die auf meiner Seite stehen. Hüter, die mehr als nur Schreiber sein wollen. Warum sollen wir uns damit begnügen, die Geschichte niederzuschreiben, wenn wir sie selbst gestalten können?«
»Ich vermag die Karten nicht zu ändern. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Angelus starrte die schöne Frau mit der dunkelgoldenen Haut und den unzähligen glänzenden Zöpfen an. » Worte können den Lauf der Dinge verändern, Seherin. Man muss sie nur in das richtige Buch schreiben.«
Etwas erregte Sullas Aufmerksamkeit und für einen Augenblick war sie abgelenkt. Ihre Enkelin kauerte hinter der Tür und lauschte. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte Sulla nichts dagegen gehabt. Amarie war siebzehn, älter als Sulla gewesen war, als sie das Kartenlesen erlernt hatte. Aber Sulla wollte nicht, dass das Mädchen diesen Mann sah. In ihm wohnte das Böse. Sie benötigte keine Karten, um das zu erkennen.
Seine großen Hände zu Fäusten geballt, stand Angelus auf.
Sulla deutete auf eine Karte, die obenauf lag und auf der ein goldenes Tor abgebildet war. »Das hier ist ein Joker.«
Angelus zögerte. » Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, dass wir manchmal selbst über unser Schicksal bestimmen können. Denn nicht alles ist in den Karten festgelegt. Es kommt ganz darauf an, für welche Seite des Tors man sich entscheidet.«
Angelus nahm die Karte in die Hand, zerknüllte sie und warf sie zu Boden. »Ich habe lange genug draußen vor dem Tor gestanden.«
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, kam Am arie aus ihrem Versteck hervor. » Wer war das, Großmutter?«
Sulla hob die Karte auf und strich sie glatt. »Er ist ein Hüter aus dem Norden. Ein Mann, der mehr haben will, als ihm oder sonst irgendjemandem zusteht.«
» Was will er denn?«
Sulla sah Amarie an, und für einen Augenblick war sie nicht sicher, ob sie dem Mädchen antworten sollte. »Dem Schicksal ins Handwerk pfuschen. Die Karten ändern.«
»Aber man kann die Karten nicht ändern.«
Sulla wandte den Blick ab und dachte an das, was sie an dem Tag, als Amarie auf die Welt gekommen war, in den Karten gesehen hatte. »Manchmal doch. Aber man muss einen Preis dafür bezahlen.«
Als ich dieAugen öffnete, stand Xavier vor mir und sah mich besorgt an. » Was hast du gesehen, toter Mann?«
Der schwarze Stein lag warm in meiner Hand. Ich umschloss ihn fester, als könnte ichAmma dadurch näher sein. Ihr und den Erinnerungen, die sich unter der schwarzglänzenden Oberfläche verbargen. » Wie oft hatAngelus die Caster-Chroniken geändert, Xavier?«
DerTorwächter blickte weg und spielte nervös mit seinen langen Fingern.
»Xavier, antworte mir.«
Unsere Blicke trafen sich und ich sah den Schmerz in seinenAugen. »Viel zu oft.«
» Warum tut er das?Was verspricht er sich davon?
»Manche Menschen wollen mehr sein als nur Sterbliche.Angelus ist einer von ihnen.«
» Willst du damit andeuten, dass er ein Caster sein möchte?«
Xavier nickte langsam. »Er will selbst Schicksal spielen. Er sucht einenWeg, wie man die übernatürlichen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzen und das Blut der Sterblichen mit dem der Caster mischen kann.«
»Die Sterblichen sollen die gleichen Kräfte haben wie die Caster?«
Xavier fuhr sich mit seiner unnatürlich langen Hand über den kahlen Kopf. »Nein. Denn was sollten solche Kräfte nützen, wenn niemand mehr da ist, den man damit quälen und beherrschen kann.«
Es ergab keinen Sinn. FürAngelus kam es zu spät.
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