Eine ewige Liebe
schmalenVorsprung gelangten.Vor unseren Füßen stürzte die Steilwand in bodenloseTiefe.Als ich einen vorsichtigen Blick über die Felskante warf, sah ich unter mir nichts alsWolken und Finsternis.
Über mir ragte das imposante schwarze Portal auf. Durch seine geschlossenen Flügel drangen beunruhigende Laute zu uns – rasselnde Ketten, wimmerndes Klagen und laute Schreie.
»Das klingt, als läge dahinter die Hölle.«
Xavier schüttelte den Kopf. »Nicht die Hölle. Nur die Hohe Wacht.«
Er trat vor mich und versperrte mir denWeg zum Portal. »Und du bist wirklich bereit, toter Mann?«
Den Blick auf sein entstelltes Gesicht gerichtet, nickte ich nur stumm.
»Menschenjunge. Der den Namen Ethan trägt. Mein Freund.« SeineAugen wurden farblos und glasig, als wäre er kurz davor, inTrance zu fallen.
» Was ist los, Xavier?« Ich war ungeduldig, aber mehr noch packte mich allmählich das Grauen. Je länger ich hier draußen stand und den gruseligen Lauten lauschte, ohne zu wissen, was hinter diesemTor vorging, desto schlimmer wurde es. Ich fürchtete, jedenAugenblick die Nerven zu verlieren – mich einfach umzudrehen und dasWeite zu suchen, und alles, was Lena auf sich genommen hatte, um mir das Buch der Monde zu beschaffen, wäre vergebens gewesen.
Er achtete nicht auf meine Frage, sondern schloss dieAugen. »Du schlägst einen Handel vor, Sterblicher?Was bietest du mir an, damit ich das Portal für dich öffne?Womit willst du den Eintritt in die HoheWacht bezahlen?«
Ich stand einfach nur da und blickte ihn an.
Er öffnete einAuge und zischte mir zu. »Das Buch. Gib mir das Buch.«
Ich reichte es ihm, aber ich konnte meine Hände nicht davon lösen. Das Buch und ich schienen zu einer Einheit verschmolzen und gleichzeitig mit Xavier verbunden zu sein.
» Was zum –«
»Ich nehme deinAngebot an und öffne im Gegenzug das Portal der HohenWacht.« Xaviers Körper erschlaffte und er sackte über dem Buch zusammen.
»Alles in Ordnung mit dir, Xavier?«
»Pst.« Nur das gedämpfte Zischen aus dem Berg von Falten seiner wallenden R o be verriet mir, dass er noch am Leben war.
Dann hörte ich ein weiteres Geräusch – ein ohrenbetäubendes Knirschen wie von einer Felslawine oder einer Massenkarambolage.Tatsächlich aber waren es die gigantischenTorflügel, die sich in Bewegung setzten. Sie knarrten und quietschten, als hätten sie sich seit tausend Jahren nicht mehr geöffnet.
Allmählich glitten sie zur Seite und gaben den Blick auf dieWelt dahinter frei. Ich verspürte Erleichterung und Erschöpfung, aber zugleich beschleunigte ein Adrenalinstoß meinen Herzschlag. In meinem Kopf war nur ein einziger Gedanke.
Bald habe ich es hinter mir.
Den härtestenTeil hatte ich geschafft. Ich hatte den Fährmann bezahlt. Ich hatte den Fluss überquert. Ich hatte das Buch bekommen und den Handel geschlossen.
Ich bin bis zur Hohen Wacht gekommen. Ich bin so gut wie zu Hause. Ich komme, L.
Ich sah ihr Gesicht und stellte mir vor, wie ich sie zum ersten Mal nach so langer Zeit sehen und in dieArme schließen würde.
Es konnte nicht mehr lange dauern.
Das dachte ich jedenfalls, als ich durch das Portal trat.
Die Geheimniswahrer 31.
Kapitel
Ich weiß nicht mehr, was ich sah, als ich durch das Portal trat. Ich weiß nur noch, was ich fühlte. Es war die blanke An gst. Meine Au gen erblickten nichts Ve rtrautes, fanden nirgendwo Halt. Die Eindrücke strömten auf mich ein, ohne dass ich sie verarbeiten konnte. Nichts, was mir je widerfahren war, hätte mich auf diesen An blick vorbereiten können.
Dieser Ort war kalt und böse. Er erinnerte mich an Saurons DunklenTurm im Herr der Ringe – ich fühlte mich beobachtet, als würde ein allwissendesAuge sehen, was ich sah, und die tiefsten Ängste in meinem Inneren aufspüren und ausschöpfen.
Ich kehrte dem Portal den R ücken zu und trat in einen dunklen Korridor zwischen zwei hoch aufragenden Mauern, die zu einer Plattform führten, von der ich den Großteil einer gigantischen Stadt überblicken konnte. Es war, als starrte ich vom Gipfel eines hohen Berges in das tiefeTal darunter. Unter meinen Füßen erstreckte sich die Stadt wie ein Netz von Straßenzügen und Bauten bis zum Horizont. Doch je genauer ich das Gebilde unter mir betrachtete, desto mehr schwand jede Ähnlichkeit mit einer gewöhnlichen Stadt.
Es war ein Labyrinth. Ein gewaltiges, verschlungenes Geflecht ineinander verzahnter heckengesäumter Pfade. Das Labyrinth dehnte sich beinahe endlos zwischen
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