Eine ewige Liebe
den Himmel gerissen und das Universum wie am losen Faden aufgedröselt. Dieser alte Knopf ließ den Augenblick, in dem ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, und das Hier und Jetzt zu einer Einheit verschmelzen. Ein winziges Teilchen des Universums hatte sich in meinem Leben ausgedehnt und eine Verbindungslinie von Lena zu mir zu Macon zu Amma zu meinem Vater und meiner Mutter – sogar zu Marian und Tante Prue – bis zu mir zurück gespannt. Wahrscheinlich fanden sich auch Liv und John Breed in dieser R eihe, genauso wie Link und Ridley. Vielleicht gehörte ganz Gatlin dazu …
Machte das jetzt noch einen Unterschied?
Wie hätte ich bei unserer ersten Begegnung in der Schule wissen sollen, wie die Ereignisse sich entwickeln würden? Und selbst wenn ich gewusst hätte, was das Schicksal für mich vorgesehen hatte, hätte ich dann eine einzige Entscheidung anders getroffen?Wohl kaum.
Vorsichtig nahm ich den Silberknopf vom Kreuz. Bei der Berührung wurden meine Finger bleischwer. Sie fühlten sich an, als hätte ich sie in den Schlick am Boden eines Sees getaucht. Das billige Blech wog mindestens einen Zentner.
Ich wollte den Knopf zurück auf das Kreuz legen, doch er rollte über die Kante und landete in der aufgeschütteten Erde über dem Grab. Für einen zweitenVersuch fühlte ich mich zu schwach.
Wenn jemand am Grab gestanden wäre, hätte er dann überhaupt bemerkt, wie der Knopf sich bewegte? Oder war es mir nur so vorgekommen, als hätte ich ihn zwischen den Fingern gehalten? So oder so konnte ich denAnblick des Knopfs nicht länger ertragen. Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie es sich wohl anfühlen würde, am eigenen Grab zu stehen. Und ich war noch längst nicht bereit, unter der Erde zu ruhen – egal ob in Frieden oder sonst wie.
Ich war noch längst nicht fertig mit derWelt.
Bevor ich mich in denTod gestürzt hatte, um mein Leben gegen die R ettung derWelt zu tauschen, hatte ich keinen Gedanken an die Frage nach dem Danach verschwendet. Solange man lebt, schmiedet man keine Pläne für die Zeit im Jenseits. Irgendwann, so stellt man sich vor, ist man einfach weg, und der R est ergibt sich dann von selbst.
Vielleicht glaubt man auch, dass man gar nicht richtig sterben wird.Wahrscheinlich halten wir uns alle für den ersten Menschen derWeltgeschichte, an dem derTod vorüberzieht.Vielleicht ist unser Gehirn darauf programmiert, uns diese Schwindeleien aufzutischen, damit wir nicht denVerstand verlieren.
Aber nichts im Leben läuft so einfach.
Nicht wenn man da war, wo ich jetzt stand.
Und niemandem geht es in dieser Situation besser als irgendeinem anderen.Wenn es darauf ankommt, gibt es keine Unterschiede mehr.
Solche Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn man sein eigenes Grab besucht.
Ich setzte mich neben mein Grabkreuz und ließ mich rücklings auf den harten Erdboden und das kalte Gras sinken. Gedankenverloren zupfte ich an einem einzelnen Halm.Wenigstens war das Gras grün und nicht verdorrt und braun. Es gab auch keine Heuschrecken mehr.
Unserem Erlöser sei Dank, würdeAmma sagen.
Gern geschehen, keine Ursache, würde ich gerne erwidern.
Ich griff in die frische, kühle Graberde und ließ sie durch meine Finger rieseln. Sie war lehmig und kein bisschen ausgetrocknet. Die Dinge hatten sich wirklich geändert.
Als anständiger Südstaatler, als der ich aufgezogen worden war, hatte ich es nie an R espekt vor den letzten R u hestättenVerstorbener mangeln lassen. Ich hatte mich dem Grab meiner Mutter immer nur im Slalom genähert, um nicht versehentlich einen Fuß auf die geweihte Erde anderer zu setzen.
Link war immer derjenige gewesen, der sich längs über die Gräber gelegt und so getan hatte, als würde er ein Nickerchen mit denToten halten. Er mache das zu Übungszwecken, hatte er behauptet.Trockentraining in SachenTotenruhe. »Ich will nur mal dieAussicht testen. Man kann doch nicht einfach losziehen und sich ins Leben stürzen, ohne zu wissen, was einen am Ende erwartet, oder?«
Aber wenn man an seinem eigenen Grab steht und seineTotenruhe nicht im Mindesten genießen kann, sieht die Sache ganz anders aus.
Eine vertraute Stimme riss mich aus meinen Gedanken. DerWind hatte sie zu mir getragen, aber ich hörte sie klar und deutlich wie aus nächster Nähe. »Mit der Zeit gewöhnt man sich daran.«
Mein Blick folgte der Stimme – und da stand sie, ein paar Gräber weiter, ihr rotes Haar tanzte imWind. Genevieve Duchannes. LenasVorfahrin, die als erste Caster das Buch
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