Eine Familie für Julianne
Zeit nicht aus den Augen lässt.“
„Ach was“, wehrte sie ab.
„Sie glauben mir nicht?“, fragte Kevin mit diesem unverschämten Grinsen. „Ich schwöre es, dieser Kerl starrt Sie an, seit wir hereingekommen sind. Kommen Sie rüber und schauen Sie nach Pippa, dann sehen Sie es selbst.“
„Weil Männer ja von Frauen mit Kleinkindern unglaublich angetan sind“, erwiderte sie trocken und fragte sich gleichzeitig, warum sie sich wünschte, dass seine Stimme eifersüchtiger klänge.
„Ganz zu schweigen davon, dass er mich auch nicht gerade als Bedrohung anzusehen scheint“, erwiderte Kevin stirnrunzelnd. „Vielleicht sollte ich darüber nicht zu sehr nachdenken“, fügte er hinzu.
Sie musste lächeln. „Als ob Ihnen das etwas ausmachen würde.“
„Doch, doch! Unter dieser rauen Schale schlägt ein sehr empfindliches Herz“, sagte er und presste eine Hand auf die Brust.
Jetzt lachte sie laut auf, und Kevin strahlte sie an. „Sie haben ein wunderbares Lachen. Jemand sollte es in Flaschen abfüllen und an Depressive verkaufen, die wären gleich geheilt. Und noch mal, Sie müssen unbedingt hier rüberkommen und sich diesen Kerl anschauen. Sie werden es nicht bereuen, ich schwör’s.“
„Ich bin doch nicht mehr auf der Highschool“, protestierte sie halbherzig.
„Tja, Süße, manche Dinge ändern sich nie. Kommen Sie.“ Jetzt grinste er wieder verwegen. „Oder trauen Sie sich nicht?“
Schließlich siegte doch die Neugier, und Julianne stand auf und tat so, als ob sie nach Pippa sähe, die tief und fest schlief.
„Nein, Sie müssen sich über mich beugen, ja, so … dann können Sie ihn sehen, ohne dass er Sie sieht. Schaut er rüber?“
Und tatsächlich, ein Mann an der Bar starrte zu ihrem Tisch herüber. Natürlich wandte er den Blick ab, als Julianne in seine Richtung schaute, aber für einen Moment sah sie dunkles, volles Haar und ein markantes Kinn.
Im selben Moment wurde ihr auch klar, dass sie mit Kevin auf Tuchfühlung war und den Duft seines frisch geduschten Körpers wahrnahm. Eine Hitzewelle durchströmte sie, und sie richtete sich hastig auf. Wie lange war es her, dass ihr das passiert war?
Julianne setzte sich wieder auf ihren Platz, und kurz darauf kam die Kellnerin mit Kevins Vorspeise.
„Sehen Sie? Ich hab’s Ihnen ja gesagt“, meinte Kevin verschmitzt. „Eine total heiße Braut. Sie. Nicht er.“
„Kevin.“
„Ja?“
„Ist das Ihre Art … ich weiß nicht … mich dazu zu bringen, dass ich mich wieder wie ein Mensch fühle? Dann hören Sie bitte auf damit. Zum einen ist es nicht nötig. Und zum anderen macht es mich verlegen.“
Wieder runzelte er die Stirn, doch jetzt sah er aus wie ein verwirrter kleiner Junge. „Weil ich Ihnen ein Kompliment gemacht habe?“
„Weil … na ja, schon. Es ist zu … persönlich.“
„Oh, ich habe es überhaupt nicht persönlich gemeint, sondern nur das Offensichtliche ausgesprochen. Und außerdem kann es ja nicht schaden, wenn Sie sich dadurch wohler in Ihrer Haut fühlen, oder?“
„Sie glauben, ich habe zu wenig Selbstbewusstsein?“
„Hey, Sie haben doch vom Trauerkloß angefangen, nicht ich. Aber …“ Er legte den Kopf schräg und zögerte einen Moment, dann zuckte er die Schultern. „Ach, was soll’s.“
In dem Moment kam die Kellnerin mit dem Hauptgang, und Julianne hoffte, dass ihn das vom Thema abbrachte.
Leider nicht.
„Also, was ich sagen wollte“, fuhr er fort, als er gekonnt seine Spaghetti auf die Gabel wickelte, „als ich Sie vorhin mit Pippa im Schaukelstuhl sitzen gesehen habe und die Sonnenstrahlen auf Ihr offenes Haar fielen … Da waren Sie so schön, dass es mir fast den Atem genommen hat.“
Julianne schluckte. „Das war nur das Licht“, wehrte sie ab.
„Ja. Aber das Licht kam von Ihnen. Sie haben von innen heraus gestrahlt.“
„Was haben die Ihnen denn ins Essen getan?“
„Nichts, aber charmant zu sein wurde mir praktisch in die Wiege gelegt. Wissen Sie, meine Mutter war früher beim Zirkus …“
„Im Ernst?“
„Sie war Trapezkünstlerin, hoch unter der Zeltkuppel“, erzählte Kevin und deutete mit der Gabel zur Decke. „Natürlich hat sie es aufgegeben, als sie meinen Vater kennengelernt hat, mit neunzehn. Aber was ich damit sagen will: Ma war eine Schönheit.“
Kevin lachte liebevoll und drehte sich eine weitere Portion Nudeln auf die Gabel. „Und wild entschlossen, auch eine zu bleiben. Ich glaube, ich war fünfzehn, als ich sie das erste Mal ohne Make-up
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