Eine Familie für Julianne
gesehen habe. Und das auch nur, weil sie die Grippe hatte und zu schwach war, um den Lippenstift zu halten. Natürlich war sie für uns Kinder einfach unsere Ma. Aber für meinen Vater war sie eine Göttin. Jedes Mal, wenn sie ins Zimmer kam, hat er ihr gesagt, wie gut sie aussieht. Und wenn wir ihm nicht zugestimmt haben, gab es einen Tritt vors Schienbein. Keinen sehr harten“, fügte er hastig hinzu, als er ihren entsetzten Gesichtsausdruck sah.
„Das ist trotzdem schrecklich!“
„Ach was, das war nur seine Art, uns daran zu erinnern, dass sie sich immer die Mühe gemacht hat, für uns gut auszusehen. Er hat auch immer ihre Kochkünste gelobt und sofort gesehen, wenn sie ein neues Kleid anhatte oder so. Später habe ich dann natürlich gemerkt, dass er das nicht ganz uneigennützig gemacht hat – ich habe einmal mitbekommen, wie er zu meinem Bruder sagte, dass eine Frau so gut wie alles mitmacht, wenn man sie wie eine Königin behandelt.“
„Und das soll ich jetzt toll finden?“
„Was? Dass eine Ehe viel besser läuft, wenn man seine Frau beachtet, statt sie zu ignorieren? Dass eine gute Beziehung sich nicht von selbst ergibt, sondern man dafür was tun muss?“ Er legte nachdenklich den Kopf schräg. „Na ja, vielleicht klingt die Philosophie meines Vaters etwas … wie soll ich sagen …“
„Sexistisch?“
„Ich meinte eher altmodisch. Aber besser das als das andere Ende der Skala, oder? Meine Eltern sind jetzt fast vierzig Jahre verheiratet und immer noch verrückt nacheinander. Klar, sie bekommen sich auch mal in die Haare, streiten sich, dass die Fetzen fliegen, aber was sie miteinander haben ist durch nichts zu erschüttern.“
Kevin schaute einige Momente versonnen vor sich auf den Tisch, bevor er fortfuhr: „Meine drei Brüder haben sich Zeit gelassen und gewartet, bis die Richtige kam, und ich bin sicher, dass sie ähnlich gute Ehen führen werden. Eine Umarmung, ein kleines Kompliment – ich habe oft genug erlebt, wie das eine Frau im neunten Monat oder eine frischgebackene Mutter aufleben lässt. Sie fühlt sich sofort besser. Wer könnte da sagen, dass mein Vater so falsch liegt?“
„Kevin …“
„Wo ich das gerade so sage –“, fügte er nachdenklich hinzu und betrachtete die Spaghetti auf seiner Gabel, „ich glaube, dass ich deshalb bisher nicht an einer langfristigen Beziehung interessiert war: weil ich noch keiner Frau begegnet bin, die diesen Aufwand wert war. Oder vielleicht liegt’s auch daran, dass ich noch nicht bereit war, wirklich etwas für eine Beziehung zu tun. Aber eins kann ich Ihnen sagen – wenn ich die Richtige gefunden habe, mache ich es genauso wie mein Vater.“
„Sie werden Ihre Frau anbeten?“
„Ja. Haben Sie ein Problem damit?“
„Nein. Aber sie vielleicht.“
Er legte die Gabel zur Seite. „Ihr Mann hat Sie nicht angebetet?“
Während Kevin sie besorgt anschaute und gleichzeitig mit einer Hand Pippas Decke zurechtzupfte, weil die Kleine im Schlaf geniest hatte, fragte sich Julianne verwirrt, warum sie dieses machohafte Gerede auch noch attraktiv fand.
„Wir waren gleichberechtigt“, antwortete sie schließlich, den Blick auf ihren Teller gerichtet. „Niemand hat den anderen angebetet. Und erstaunlicherweise waren wir trotzdem glücklich.“
„Na gut, vielleicht ist anbeten auch nicht das richtige Wort. Wie wär’s mit verehren? Oder achten? Gefällt Ihnen das besser? Das kommt doch auch im Trauspruch vor, oder? Lieben, ehren und achten?“
„Aber nicht gehorchen?“, fragte sie lächelnd.
„Na, da hätte der Pfarrer von meinen Schwägerinnen aber was zu hören bekommen“, antwortete Kevin, und wieder musste Julianne lachen.
Allerdings verstummte sie unsicher, als er sich über den Tisch zu ihr beugte und leise sagte: „Aber damit das klar ist, ich werde nicht aufhören, Ihnen Komplimente zu machen, nur weil Sie das verlegen macht.“
Julianne seufzte. „Aber widerspricht sich das nicht?“
„Ganz und gar nicht. Komplimente zu akzeptieren kann man nämlich üben. Das ist wie beim Fitnesstraining. Am Anfang ist man steif und fühlt sich unwohl. Aber wenn man dann weitermacht, wird es immer besser.“
Julianne schaute ihm eine Weile verblüfft beim Essen zu, dann sagte sie: „Sie sind verrückt.“
Statt einer Antwort zuckte er nur die Achseln.
Nachdenklich stocherte sie in ihrem Salat herum. „Ich glaube, ich bin tatsächlich aus der Übung. Was Komplimente angeht, meine ich. Gil hat mir auch immer nette Sachen
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