Eine fast perfekte Lüge
auf eine Schnellstraße ab. Macie beugte sich vor und tippte Carter leicht auf die Schulter. „Es gibt einen direkteren Weg“, sagte sie.
„Ja, Ma’am“, gab Carter zurück und fuhr weiter.
„Es ist okay, Macie“, meinte Jonah. „Wir machen nur einen kleinen Umweg.“
Einen kleinen Umweg? Verärgert darüber, dass man es nicht für nötig befunden hatte, sie vorher darüber zu informieren, lehnte Macie sich in den Sitz zurück und schloss die Augen, zu erschöpft, um die Ausweichmanöver des Agenten während der Fahrt weiterzuverfolgen.
Aber Jonah registrierte alles und tastete mehr als einmal nach seiner Waffe, die in dem Schulterhalfter unter seiner Jacke steckte.
Als sie endlich an ihrem Ziel angelangt waren, war Macie eingeschlafen, während Jonahs Nerven blank lagen.
Sobald das Auto hielt, schrak Macie aus dem Schlaf hoch und setzte sich auf. Agent Carter drehte sich zu ihr um.
„Bitte bleiben Sie noch im Auto sitzen, bis sich mein Kollege draußen umgesehen hat, Miss Blaine“, sagte er.
Da sie vom Schlaf noch ein wenig durcheinander war, verstand sie nicht gleich, was seine Worte eigentlich bedeuten sollten. Während sie wartete, setzte sie sich zurecht und fuhr sich schlaftrunken mit den Fingern durchs Haar. Erst als sie sah, dass Sugarman beim Auto stehen blieb, während Carter auf das Beerdigungsinstitut zuging, wurde ihr klar, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Jonah … was ist eigentlich los?“
„Sie sind nur vorsichtig, das ist alles.“
Macie schaute aus dem Fenster auf die perfekt gemähten Rasenflächen und die von prächtigen Palmen gesäumten Gehwege. Nach außen hin wirkte alles so ruhig und normal, und doch war ihre Welt vollkommen aus den Fugen geraten. Je länger sie so dasaß, umso mehr wuchs ihre Verärgerung. Ihre Schwester war tot. Ihr Vater rang im Krankenhaus mit dem Tod, ihr Neffe war verschleppt worden und musste möglicherweise Schlimmes erdulden, und sie verkroch sich hier ängstlich auf dem Rücksitz eines Wagens. Plötzlich hatte sie genug von diesem Versteckspiel.
Bevor Jonah begriff, was passierte, war Macie auch schon aus dem Auto gesprungen.
„He, warte! Verdammt, Macie, du kannst doch nicht einfach …“
Sie knallte ihm die Tür vor der Nase zu und strich sich das Kleid glatt. Als Sugarman sich zu ihr umdrehte und auf sie zuzugehen begann, hob sie trotzig das Kinn.
„Miss Blaine, Sie müssen warten.“
Sie hob eine Hand, um ihn zum Stehenbleiben zu veranlassen. „Kommen Sie mir nicht zu nahe“, warnte sie.
„Es tut mir Leid, Ma’am, ich habe meine Anweisungen.“
„Schön, aber nicht von mir. Ich habe es satt, Angst zu haben. Und ich habe es genauso satt, dass sich in jeder Ecke meines Elternhauses fremde Leute herumdrücken. Ich gehe jetzt in dieses Gebäude, um zu holen, was von meiner Schwester noch übrig ist, und Sie können sich überlegen, ob Sie hier auf mich warten oder zurückfahren wollen.“
Der Agent musterte sie beunruhigt, dann wandte er sich Hilfe suchend an Jonah, der gerade aus dem Auto stieg. „Sir, Ruger wird mich …“
„Ich begleite sie“, sagte Jonah.
Macie drehte sich zu ihm um. „Du bist um keinen Deut besser als sie“, fuhr sie ihn an. „Obwohl es hier um meine Familie geht, lässt man mich im Ungewissen. Ich stelle Fragen und bekomme nur vage Antworten. Du willst, dass ich kooperiere? Schön, dann sag mir erst die Wahrheit.“
Jonah ließ ihren Zornesausbruch mit unbeteiligter Miene über sich ergehen, weil er wusste, dass ihre Verzweiflung der Auslöser war. Gleichzeitig aber war er fest entschlossen, ihr absolut nichts über das hinaus zu sagen, was sie bereits wusste. Er wollte sie nicht noch mehr beunruhigen, und um zu verhindern, dass dies passierte, war er bereit, auch weiterhin ihren Zorn auf sich zu ziehen.
„Die Wahrheit? Was denn für eine Wahrheit? Ich kann an dem, was passiert ist, nichts ändern, und niemand weiß, wo Evan ist. Glaubst du nicht auch, dass ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um ihn zurückzubekommen?“
Macie schaute ihn einen Moment ausdruckslos an, fast so, als ob sie nicht verstanden hätte, dann wirbelte sie wortlos auf dem Absatz herum und schritt den Weg hinauf.
Nervös schaute Jonah über die Schulter und suchte die Umgebung ein letztes Mal mit Blicken ab, bevor er ihr folgte.
Natürlich wusste Macie, dass es wahrscheinlich gute Gründe gab, ihr gewisse Informationen vorzuenthalten, aber das änderte nichts daran, dass sie sich dabei hilflos fühlte.
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