Eine fast perfekte Lüge
Sie war inzwischen schon so viele Jahre allein für sich verantwortlich, und sie war eine erfolgreiche Unternehmerin. Dass man sie jetzt wie eine Unmündige behandelte, war nicht nur kränkend, sondern auch überflüssig. Obwohl sie wusste, dass Jonah ihr folgte, verlangsamte sie ihre Schritte nicht und wartete auch nicht. Sie war im Moment von ihrer Familie die Einzige, die handeln konnte, und sie wollte Gerechtigkeit. Heute würde sie allerdings nicht mehr bekommen als nur die Asche ihrer Schwester.
Erst als sie in der Eingangshalle des Bestattungsinstituts angelangt war, drehte sich Macie zu Jonah um. Sie schauten sich einen langen Moment tief in die Augen, dann hob Jonah mit einer Geste der Hilflosigkeit die Hand und trat einen Schritt zurück.
Als einziges Zeichen dafür, dass sie den Rest dieses Weges allein gehen wollte, presste Macie die Lippen aufeinander, dann drehte sie sich um und ging weiter.
Jonah wusste nicht genau, worüber sie so aufgebracht war, aber er hatte ihr angesehen, dass sie es ernst meinte. Und er hatte große Achtung vor Mut und Entschlossenheit, sei es bei einem Mann oder bei einer Frau. Als er Macie jetzt nachschaute, wie sie mit gestrafften Schultern und federndem Gang die Empfangshalle durchquerte, wurde ihm klar, dass er sich zum ersten Mal in seinem Leben rettungslos in eine Frau verliebt hatte. Er setzte sich in den nächstbesten Sessel und versuchte nicht darüber nachzudenken, was das bedeutete.
Die Minuten verstrichen im Schneckentempo, bis schließlich zwanzig vergangen waren. Da Warten noch nie zu seinen Stärken gehört hatte, sprang er auf, sobald er sie kommen sah, doch als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, blieb er erschrocken stehen.
Noch vor nicht allzu langer Zeit war sie hier hereingestürmt wie eine Rachegöttin, und jetzt wirkte sie vollkommen erschüttert. Als er die kleine graue Urne sah, die sie an ihre Brust drückte, wusste er, dass sie sich jetzt zum ersten Mal wirklich mit dem Tod ihrer Schwester auseinander gesetzt hatte. Er machte einen Schritt auf sie zu, dann zögerte er und blieb wieder stehen.
Macie ging langsamer, als sie ihn sah. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich keine Frage, ihre Augen waren ausdruckslos. Sie wartete einfach nur ab.
Jonah berührte sie leicht an der Schulter, doch sie machte eine abwehrende Bewegung. Deshalb ging er an ihr vorbei zur Eingangstür und hielt sie ihr auf. Carter und Sugarman warteten auf der Straße. Als sie Macie sahen, ging Sugarman sofort auf sie zu, während Carter sich beeilte, zum Auto zu kommen. Jonah blieb auf der Treppe stehen und schaute sich noch einmal eingehend um, bevor er ebenfalls zum Auto ging. Auf halbem Weg verspürte er plötzlich ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. In diesem Moment wurde ihm ebenfalls klar, dass sie beobachtet wurden. Automatisch tastete er nach seiner Pistole. Sie war an ihrem Platz – aber wo zum Teufel war der Feind?
Als er beim Auto ankam, saß Macie bereits wohlbehalten auf dem Rücksitz. Er glitt neben sie und berührte Carter leicht an der Schulter.
„Fahren Sie“, sagte er.
Ein paar Minuten später tauchte aus einer Seitenstraße eine unauffällige graue Limousine auf und fädelte sich in den Verkehr ein. Der Fahrer achtete sorgfältig darauf, dass sich zwischen seinem Auto und dem Wagen, in dem Macie saß, genug Autos befanden, damit sie nicht entdeckt werden konnten.
Die beiden Männer, die in dem Auto saßen, waren Profis. Zwei FBI-Agenten und einen Bodyguard auszuschalten, um an Macie Blaine heranzukommen, war nur ein Teil ihres Plans. Sie unterhielten sich über Nebensächlichkeiten, während sie ihre Verfolgung fortsetzten und darauf vertrauten, bei der nächsten Ampel zum Zug zu kommen.
Es war Jonah, der das Auto entdeckte. Überrascht stellte er fest, dass er den Fahrer kannte. Als er mit Jorge Vega zum letzten Mal Kontakt gehabt hatte, war er untergetaucht, weil die DEA hinter ihm her gewesen war. Der Gedanke, dass ihn der Mann, mit dem er monatelang abends Karten gespielt hatte, beim Verlassen des Bestattungsinstituts beobachtet hatte, jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Dass er damals lange Haare und einen Bart getragen hatte, half ihm wenig, denn Vega war kein Dummkopf.
Er beugte sich vor und tippte Sugarman auf die Schulter.
„Fordern Sie Verstärkung an. Sagen Sie Ruger, dass er uns ein paar Leute schicken soll. Wir werden verfolgt.“
Sugarman reagierte sofort und gab Jonahs Erkenntnisse sowie ihren derzeitigen Standort und ihr
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