Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn
zutiefst unangenehme Aufgabe wäre. Es ist nicht ganz die richtige Vorgehensweise.«
James nickte. Dem konnte er zumindest zustimmen.
»Sie sind zu intelligent, um nicht zu begreifen, was ich will, ja, deshalb will ich geradeheraus sein: Sind Sie bereit, dieses Gutachten zu erstellen?«
Sein unmittelbarer Instinkt war, abzulehnen. Es war ein seltsames Ansinnen und eine unappetitliche Aufgabe noch dazu. Selbst wenn man die Frage der Unbefangenheit außer Acht ließ – falls er Mängel entdecken würde, würde sein Befund irgendjemandem schaden. Er holte Luft, um das zu sagen. Das kratzende Gefühl in seiner Lunge ließ ihn innehaltenund dieser einzelne Atemzug erinnerte ihn sowohl an seine Malaria als auch an sein berufliches Versagen. Er war in Kalkutta ernsthaft krank geworden; war fast gestorben. Eine ähnlich brutale Lektion hatte er in Sachen Lokalpolitik gelernt; seine Arbeit wurde behindert und sein Projekt untergraben, weil ihm wichtige Geldgeber gefehlt hatten.
Er war jemand, der schnell begriff. Selbst in England – vielleicht sogar besonders in England – würde es dem Bauunternehmen Easton guttun, den leitenden Beauftragten des Arbeitsausschusses zu beeindrucken. Der Mann hatte enormen Einfluss, sowohl in seiner beruflichen Funktion als auch privat. Wenn James in Kalkutta eines gelernt hatte, dann, dass Beziehungen von größter Bedeutung waren. Vielleicht wurde er ja auch zum Realisten.
Und dennoch. Und dennoch. Er konnte Harkness’ Angebot unmöglich annehmen.
Oder doch?
Harkness lächelte erneut, das erste natürliche Lächeln, seit diese eigentliche Unterhaltung begonnen hatte. »Sie grübeln zu viel, James. Das ist ein Traumjob; einer, den Sie und Ihr Bruder gebrauchen könnten. Bedenken Sie nur: wenig Arbeit, ein kurzes Gutachten und die tiefe Dankbarkeit des Beauftragten.«
Das musste ihm der andere nicht sagen. James sah sich in dem Büro um und betrachtete die Stapel von Akten, die sich im Schrank, auf dem Schreibtisch und auf dem Boden türmten, die schmutzigen Wände und die klapprige Einrichtung. Wollte er diesen altenFreund der Familie wirklich unter die Lupe nehmen? Wie konnte er gegen ihn aussagen? Oder für ihn, gegen sein besseres Wissen?
Andrerseits, was für ein feiger Grund, die Arbeit abzulehnen. Wenn er die Aufgabe übernahm, dann nicht als Harkness’ Schoßhund. Er würde genau das sein, was der Beauftragte verlangte: ein unabhängiger Ingenieur. Sein eigener Berufsstolz gebot ihm, unparteiisch zu sein. Aber wer würde ihm glauben, wenn die lange Familienbekanntschaft mit Harkness herauskam? Aus diesem Grund musste er den Auftrag ablehnen, so verlockend er auch war. Er würde einen anderen Weg finden, um wichtige Beziehungen zu knüpfen.
»Sie sind ein erstklassiger Bauingenieur, Easton – beide, Ihr Bruder und Sie –, und ich dachte, dass es für Ihre Zukunft von Nutzen sein könnte, den leitenden Beauftragten des Arbeitsausschusses kennenzulernen.«
Warum versuchte Harkness, ihm den Job so schmackhaft zu machen? Wie viele Kandidaten hatten bereits abgelehnt und aus welchem Grund? James wusste, dass er nicht der überragende Ingenieur seiner Generation war – noch nicht zumindest. Das Bauunternehmen Easton war eine kleine Firma, die sich noch nicht durchgesetzt hatte. Für niemanden wäre er die erste Wahl.
»Warum ich?«, fragte er langsam.
Harkness sah ihn überrascht an. »Nun, ich habe doch soeben gesagt, dass Sie ein tadelloser Ingenieursind, erstklassig … und natürlich machen mich unsere lange Freundschaft und mein liebevolles Angedenken an Ihren Vater froh, Ihnen einen Gefallen zu tun. Sie zweifeln Ihre Fähigkeit doch nicht an, eine einfache Beurteilung der Sicherheitsvorkehrungen auf der Baustelle vorzunehmen, oder?«
»Nein«, sagte James. Er dachte fieberhaft nach. Zu fieberhaft vielleicht. Normalerweise war er nicht der zögerliche Typ, aber heute war er gleichermaßen angezogen und abgestoßen. Und dann kam ihm die Lösung. »Ich würde die Arbeit gerne annehmen, wenn ich ganz unabhängig vom Beauftragten persönlich eingesetzt würde.«
»Aber mein lieber junger Mann, das kommt doch aufs selbe heraus: Wie ich schon erwähnt habe, hat der Beauftragte die Sache ganz in meine Hände gelegt. Meine Wahl ist auch seine Wahl.« Harkness’ nachsichtiger Ton deutete an, dass er James für begriffsstutzig hielt.
»Bei allem Respekt, Sir, das ist keineswegs dasselbe.«
»Sie waren schon immer störrisch.« Harkness lächelte ihn
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