Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn
schwitzte heftig, sah ganz grau aus und versuchte bei jedem Schritt ein Stöhnen zu unterdrücken.
»Wir sind fast da, nicht?«, sagte Mary aufmunternd. Jenkins hatte nicht gefragt, wie viel sie wusste oder warum sie so neugierig war, und sie hielt es für das Beste, so lange wie möglich so zu tun, als würde sie ihm einfach folgen.
Er nickte verbissen. »Nur noch um die Ecke.«
»Soll ich vorausgehen und nachsehen? Es ist doch Nummer neun, oder?« Dieser zweite Besuch bei Wick war in ihren Augen völlig aufs Geratewohl. Sie bezweifelte, dass Reid dort war, aber zur Abwechslung wäre sie mal froh gewesen, nicht recht zu haben.
Er nickte. »Geh vor.«
Ihr Blick überflog die Häuserreihe, und die eine oder andere Gardine zuckte: wieder diese neugierigen Nachbarn. Aber in Wicks Haus hingen keine Gardinen – wer wusch denn an einem Sonntag Gardinen? – und es sah irgendwie verlassen aus. Auch die schwarze Kreppschleife fehlte.
»Ziehst du da ein?«
Mary wandte sich um. Ein ernstes rothaariges Mädchen von ungefähr neun Jahren betrachtete sie von der Tür des gegenüberliegenden Hauses.
»Wo?«
»Da drüben. Nummer neun.«
»Steht das Haus denn leer?«
»Die sind heute morgen gegangen.«
»War das nicht etwas plötzlich?«
»Ich hab sie die ganze Nacht packen sehen.«
»Wo sind sie hin?«
Sie zuckte die Schultern.
»Hat die Frau – ich meine, Mrs Wick – alles alleine gepackt? Oder hat ihr ein Mann geholfen?« Es musste doch jemand dabei gewesen sein. Jane Wick war von Natur aus weder entschlossen noch flink. So ein plötzlicher Umzug musste von jemand anderem angeregt worden sein. Die Frage war nur, wer dahintersteckte – Keenan oder Reid?
»Quinn! Quinn! Was machst du denn da?«
Sowohl Mary als auch das Mädchen fuhren zusammen: Es war Peter Jenkins, der sich wie ein lahmender Wolf auf sie stürzte. Mit einem kleinen Angstschrei verschwand das Mädchen sofort im Haus und schlug laut die Tür hinter sich zu.
Mary seufzte. »Jenkins.«
»Das ist nicht der Augenblick für ein Schwätzchen! Begreifst du denn nicht?«
»Ich begreife sehr wohl, Jenkins. Das Mädchen hat mir gerade erzählt, dass die Wicks heute früh ausgezogen sind.«
»So ein Quatsch! Das hätte er mir gesagt!«
Mary zuckte die Schultern. »Schau doch selbst nach. Und danach gehst du in deine Unterkunft zurück und erkundigst dich, ob deine Miete im Voraus bezahlt worden ist und für wie lang.«
Jenkins starrte sie an. »Warum? Was geht dich das an?«
Sie seufzte. »Wenn sie im Voraus bezahlt worden ist, heißt das, dass Reid gewusst hat, dass er abhaut, und dass er wahrscheinlich mit den Wicks abgehauenist. Wenn nicht bezahlt worden ist, hat Keenan sie allesamt ganz schnell verschwinden lassen.«
Er starrte sie an und Verwunderung breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ich – das – du – Mann, du bist ja gar nicht so dumm, wie du tust!«
Sie lächelte verkniffen. »Und wenn du das erledigt hast, dann komm zur Baustelle. Fahr heimlich hinten auf einer Droschke mit oder so was.«
Seine Augen wurden noch größer. »Palasthof?«
Mary nickte. »Ich hab das Gefühl, dass dort die wahre Antwort zu finden ist.«
Achtundzwanzig
I m Stadtteil Westminster waren die Straßen dämmrig und verlassen. Hier gab es an einem Sonntag nicht viel, was Schaulustige anzog, und nur wenige Anwohner waren unterwegs. Daher fiel der breit schultrige Mann, der sich durch die Schatten schlich, besonders auf. Mary blieb stehen und duckte sich hinter einen Postkasten, um ihn besser beobachten zu können. Obwohl sie schon wusste, wohin er ging.
Der Mann war ein vertrauter Anblick – in mehrerer Hinsicht. Der breite Kopf und die bulligen Schultern gehörten zu Keenan, da war sie sicher. Und nicht nur das, jetzt war ihr auch klar, wer am letzten Montag in die Baustelle eingebrochen war. Der Mann, der Harkness’ Büro durchsucht hatte, der sie auf die Straße hinaus verfolgt und sie fast erwischt hätte. Er und Keenan waren identisch. Und sobald ihr das klar wurde, verstand sie auch, warum der Diebstahl nicht gemeldet worden war. Falls Harkness mit Keenan unter einer Decke steckte, dann gehörte das zu ihrer Absprache. Falls Harkness versuchte, die Diebstähleaufzuklären, war es womöglich eine Art Falle, die er gestellt hatte. In beiden Fällen war es nicht geraten, die Polizei einzuschalten. Noch nicht.
Mary wartete darauf, dass Keenan wieder seinen Kletterkrampen in den Holzzaun schlagen würde. Doch heute Abend
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