Eine Feder aus Stein
okay?«
Melysa nickte ernst. »Natürlich. Ouida, kommst du mit mir oder begleitest du Petra?«
»Ich denke, ich muss mit Richard alleine sprechen«, unterbrach Petra und klopfte sich den Sand von ihrer nassen Segeltuchhose.
»Wir sind bestimmt okay«, begann Clio. »Wir brauchen keine Babysitter. Wir werden …«
Petra warf ihr einen durchdringenden Blick zu. »Ihr werdet mit Melysa zu Hause bleiben, bis ich wieder zurück bin. Ihr werdet das Haus nicht mal verlassen, um den Müll rauszubringen, was du im Übrigen gestern vergessen hast. Ihr werdet niemandem das Auto klauen und ihr werdet Melysa nicht von der Seite weichen, oder ich haue euch einen Verfolgungszauber um die Ohren, sodass ihr den Rest eures Lebens in euren Zimmern verbringt. Ist das klar?«
»Ich kann auch bei ihnen bleiben«, bot Ouida an. »Auf jeden Fall bis mittags.«
Ein sturer Ausdruck lag auf Clios Gesicht, während sie Petras Worte abwog. Doch sie musste begriffen haben, dass es Petra todernst war, denn sie zuckte nur ungehalten die Achseln und sagte: »Wie du willst.«
Die fünf trotteten zu den Autos zurück. Petra konnte noch immer nicht glauben, dass sie die Mädchen heute fast verloren hätte, und das nur, weil sie so eigensinnig und dumm gewesen waren. Sie näherte sich Clio und legte ihr einen Arm auf die Schulter. »Ich will nicht, dass dir etwas passiert.«
»Ich weiß.«
»Ich kann nicht glauben, dass es Richard ist. Aber ich verspreche, ich gehe der Sache auf den Grund.«
Clio blickte auf und warf ihr ein schwaches Lächeln zu. »Okay.«
»Ich kann mir nur nicht vorstellen …« Petra sprach ihre Gedanken laut aus. »Ich frage mich … Ob es etwas damit zu tun hat, dass ihr beide wie Cerise ausseht?«
Neben ihr blieb Clio wie angewurzelt stehen. »Wir sehen wie Cerise aus?«
»Ja, natürlich. Habt ihr sie in euren Visionen denn nicht gesehen?«
»Ich hab’s dir doch gesagt!«, rief Thais. »Wir sehen genau wie Cerise aus, das hat uns der Zauber gezeigt.«
Langsam schüttelte Clio den Kopf. »Aber wir haben ihr Gesicht nicht sehen können. Es war dunkel und hat geregnet.«
»Ich habe sie gesehen«, entgegnete Thais. »Wir gleichen ihr bis ins letzte Detail, nur dass sie blond war.«
»Genau so ist es«, bekräftigte Ouida. »Sie war genauso schön wie ihr. Ihr seid ihr exaktes Ebenbild.«
Petra sah, wie die Mädchen einen Blick wechselten.
»Tut mir leid«, sagte sie an Clio gewandt, während sie weiter zu ihrem Auto ging. »Ich dachte, ihr wüsstet das.« Wie immer zog sich ihr Herz vor Schmerz zusammen, als sie an die Nacht dachte, in der sie die einzigen Kinder verloren hatte, die ihr noch geblieben waren.
Ouida öffnete die Beifahrertür von Melysas Auto. »Clio, setz du dich nach vorne. Thais und ich steigen hinten ein.«
Petra schaute zu, wie sich die Mädchen in Melysas Auto quetschten. Melysa hatte an warme Strandhandtücher gedacht und vergewisserte sich nun, dass die Zwillinge warm eingehüllt waren. Petra folgte Melysa den ganzen Weg nach New Orleans, bis diese den Highway bei der Carrollton-Ausfahrt verließ. Petra fuhr zum Französischen Viertel weiter.
Kapitel 25
Als sie sich getroffen hatten
Jeder Tag war ein Segen. Jeden Tag, an dem er die Augen aufschlug, war er froh, am Leben zu sein, egal ob es sonnig, regnerisch, feucht oder eiskalt war. Das war nicht immer so gewesen.
Jules stand aus seinem Bett auf und streckte sich. Es regnete ein wenig – er konnte es aufs Dach trommeln hören. Der Boden unter seinen Füßen war kühl. Sollte sich der Herbst tatsächlich noch blicken lassen? Leise wie eine Katze ging er ins Badezimmer und warf dabei einen Blick ins Wohnzimmer. Claire schlief angezogen auf der Couch. Er hatte sie heute früh heimkommen hören, hatte mitbekommen, wie Luc sie schlafen gelegt hatte. Sie hatte sich nicht verändert. Und das würde sie auch nie.
Überhaupt war es seltsam, wie wenig sie sich alle über diesen langen Zeitraum hinweg verändert hatten. Sie waren nicht nur in ihrem Alter eingefroren worden, sondern auch in ihrer Persönlichkeit. Man hätte meinen können, wenigstens einige von ihnen hätten sich nach 250 Jahren etwas tiefgreifender verändert, doch das war bei keinem der Fall. Und schon gar nicht bei ihm.
In der Küche setzte er Wasser auf, um Kaffee zu machen. Claire würde welchen wollen, wenn sie aufwachte. Von dem kleinen Fenster über dem Waschbecken hatte man eine triste Aussicht auf die Backsteinmauer nebenan, die mit Efeu überwachsen war. Im
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