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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Wohnzimmer wechselte Clair die Lage und rollte sich auf der schmalen Futon-Couch zusammen, fast wie ein Kind. Sie zog ihn wegen seiner kargen Einrichtung auf, meinte, er würde auch nach Jahrhunderten der Freiheit wie ein Sklave denken. Und das stimmte, das musste er zugeben. Genau wie eine zerbrochene Liebe war Sklaverei nichts, worüber man je wirklich hinwegkam.
    Das Wasser im Topf gab ein blubberndes Geräusch von sich. Gleich würde es kochen. Er holte die Zuckerstücke hervor. Er wusste, dass Claire für gewöhnlich drei nahm.
    In gewisser Weise schien es noch gar nicht so lange her, dass er sie getroffen hatte.
    Er war von seinem Besitzer, einem Tabakfarmer, weggelaufen. Man hatte ihn brutal zusammengeschlagen und seine Hände in Ketten gelegt, doch er war entkommen. Tagelang war er einfach nur drauflosgewandert, obwohl er sich am Schluss kaum noch hatte rühren können. Also war er gekrochen. Er kam an ein Sumpfgebiet, und nach gerade mal eineinhalb Metern stolperte er, landete im Wasser und stieß sich den Kopf an einer Wurzel. Die Welt begann sich zu drehen, und er lächelte, denn jetzt starb er endlich. Sie hatten ihn nicht aufgespürt. Jetzt würden sie nur noch seine Leiche finden. Er musste beinahe lachen, als er daran dachte, wie wütend sie sein würden. Der obere Teil seines Kopfes und sein Gesicht reichten kaum aus dem Wasser. Es war warm und angenehm. Jetzt würde es bestimmt nicht mehr lange dauern.
    Aber … tot zu sein konnte doch nicht so wehtun, oder? Er hatte so große Schmerzen, dass es ihn regelrecht erschreckte. Der Aufprall, die Erschütterung … Bitte, lass mich sterben. Lass mich das Nichts sehen, die Engel des weißen Manns, Teufel, irgendwas, nur nicht …
    Bäume. Über ihm ragten Bäume auf. Es war kaum noch hell, doch er hätte nicht sagen können, ob der Tag gerade anbrach oder ob es schon wieder dämmerte. Er wurde irgendwo hingezogen. Er war am Leben. Tränen kullerten ihm aus den Augen und rannen über den getrockneten Schlamm auf seinem Gesicht. Ein Donnerschlag ließ ihn erzittern und der warme Regen prasselte durch die Bäume auf ihn hernieder.
    Ein Gesicht blickte auf ihn herunter. Ein bleiches Gesicht mit orangefarbenem Haar und blauen Augen. Ein Junge. Ein Junge schleifte ihn auf einer Planke über den Erdboden. Der Junge würde ihn auf die Farm zurückbringen, ihn abgeben und seine zehn Dollar einstreichen.
    Weinend hatte er sein Gesicht mit den Händen bedeckt, doch die Ketten waren schwer und schlugen ihm gegen die Nase. Der weiße Junge sah ihn an, legte die Planke auf den Boden und kniete neben seinem Kopf nieder. Jules hörte auf zu weinen und versuchte, tapfer zu wirken, wie ein Mann, doch das war er nicht – er hatte keinen Namen.
    Der weiße Junge sprach ihn auf Französisch an: »Vous pourriez vous récupérer«, sagte er sanft. »Dans ma ville. Ce n’est ne pas loin. Calmez-vous.«
    Die Worte ergaben keinen Sinn.
    Es war Marcel gewesen, der ihn sterbend im Sumpf gefunden, aus einer Planke eine Art Zugschlitten gemacht und ihn fünf Kilometer ins Ville du Bois geschleift hatte. Der zwölfjährige Marcel hatte ihn zu Petra, der Heilerin, gebracht. Eine Woche lang hatte Jules hohes Fieber gehabt, halluziniert, war wie gelähmt gewesen vor Angst und Schreck. Petra hatte ihm Tees gekocht, von denen einige bitter waren, andere nicht. Sie hatte den Sumpfschlamm von ihm abgewaschen und Salbe auf seine Verletzungen aufgetragen. Dann war der Schmied gekommen und hatte seine Hände von den Ketten befreit.
    »Vous vous appellez Jules«, hatte Petra eines Nachts gemurmelt, als sein Fieber am Abklingen war. »Nous allons vous appeller Jules maintenant.«
    Ein dunkelhaariger Mann kam herein. Armand. Er erklärte Jules ein paar Dinge auf Englisch. Und als sich Jules schließlich erholte, so wie es Marcel vorausgesagt hatte, blieb er im Ville Du Bois, lebte als einer von ihnen, als richtiger Mensch, zum ersten Mal in seinem Leben. Es war ein verborgenes Paradies. Jules wagte sich nie weit aus dem Dorf heraus – dort draußen erwarteten ihn Elend und Schmerz. Er wollte auch gar nicht weg – alle waren so freundlich hier. M. Daedalus brachte ihm Lesen und Schreiben bei. Alle, auch die Kinder, halfen dabei, ihm die Naturreligion, die Bonne Magie, beizubringen. Sie passte in sein Leben wie der richtige Schlüssel, der in ein Schloss gesteckt wird und dabei alle Zuhaltungen und Hemmnisse beiseiteschiebt.
    Eines Tages, ungefähr zehn Jahre nach seiner Ankunft, hatte er zum

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