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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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ersten Mal mit Claire gesprochen. Er wusste, dass sie – wie man im Dorf sagte – ein leichtes Mädchen war, doch es ging hier nicht so zu wie in der anderen Welt, wo man sie deswegen geschlagen oder verjagt hätte.
    Jules ging gerade nach Hause, eine Angelschnur mit einem Wels über der Schulter. Während er voranschritt, murmelte er eine Dankeslitanei vor sich hin. Er bedankte sich für alles, was er besaß, für alles, was er um sich herum sah, für jedes bisschen Glück, das er fühlte. Er bedankte sich, sooft er konnte.
    Nicht weit vom Dorf entfernt hörte er ärgerlich erhobene Stimmen. Nach ein paar Schritten sah er Claire, die sich in einem Handgemenge mit einem jungen Mann – Etienne soundso – befand. Mit ihrer freien Hand gab Claire Etienne eine schallende Ohrfeige. Etienne wurde rot vor Zorn, hässlich rot, und hob die Faust. Als er sie gerade auf ihren Kopf herniedersausen lassen wollte, packte ihn Jules von hinten.
    »Immer langsam«, sagte er und verbarg seinen Ärger. »Du weißt doch, dass wir keine Frauen schlagen.«
    »Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten, Mann!«, schnauzte Etienne ihn an.
    »Das hier ist meine Angelegenheit«, gab Jules zurück. Seine starken Hände öffneten den eisernen Griff um Claires Arm. Sie fiel zu Boden und rappelte sich gleich wieder hoch. »Ich halte dich davon ab, einen Fehler zu machen, der deine Seele noch lange heimsuchen wird. Du kennst doch das Gesetz der dreifachen Rückkehr.«
    Etienne grinste spöttisch: »Das gilt doch nur für die Magie, du Narr!«
    »Nein«, entgegnete Jules kopfschüttelnd. »Es ist überall und jederzeit gültig.«
    »Du tust gut daran, mich in Ruhe zu lassen«, knurrte Etienne, »und deinen Weg fortzusetzen. Das ist eine Sache zwischen mir und meinem Mädchen.«
    »Ich bin nicht dein Mädchen!«, rief Claire.
    »Stimmt, du bist jedermanns Mädchen.« Die Verachtung auf Etiennes Gesicht schmerzte Jules. Der jüngere Mann wandte sich ihm wieder zu: »Letzte Warnung. Entweder du lässt mich jetzt in Ruhe oder …« Er hielt Jules seine geballte Faust hin.
    »Ich bin kein Mädchen, dem du drohen kannst, mein Junge«, erwiderte Jules mild. »Und meine Faust ist größer als deine.«
    Tatsächlich war sie fast zweimal so groß. Jules war überhaupt sehr viel größer als die meisten Dorfbewohner – die kleinen Franzmänner, wie er sie insgeheim nannte. Etienne betrachtete Jules’ riesige Faust, mit den gebrochenen und nicht wieder gerichteten Fingern. Er blickte Jules ins Gesicht, auf dem zwar kein gemeiner, dafür aber ein stahlharter Ausdruck lag. Jules sah, wie dem Jungen allmählich dämmerte, dass er an die zwanzig Zentimeter kleiner und vielleicht 25 Kilo leichter als sein Gegner war.
    Den jungen Mann verließ die Kampfeslust. Die Kampfeslust, aber nicht der Zorn.
    »Mach doch, was du willst!«, fauchte er und ließ die Faust sinken.
    » Wenn mir zu Ohren kommt, dass du die junge Lady noch einmal belästigt hast, werde ich sehr böse werden«, sagte Jules.
    »Sie ist keine Lady«, rief Etienne über die Schulter.
    Das war keiner Antwort würdig.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    Claire nickte. »Danke.« Sie wirkte verlegen und nicht besonders selbstbewusst, ganz anders als das kokette junge Mädchen, das Jules sonst im Dorf herumlaufen sah.
    Sie gingen nebeneinanderher.
    »Es ist eine Schande, dass unser Paradies durch so jemanden verunstaltet wird«, sagte Jules.
    »Paradies!« Claire starrte ihn an. »Du meinst wohl eher Gefängnis! Ich würde alles dafür geben, endlich von hier weg zu können. Etienne hat mir versprochen, mich nach New Orleans zu bringen, wenn ich ihm beiwohnen würde. Aber das war gelogen.«
    »Dieses Dorf ist das letzte Eden«, erwiderte Jules ernst. »Die Welt da draußen ist voller Schmerz.«
    Sie sah, wie ihr Blick seine Narben streifte, dort, wo man ihn auf der Farm ausgepeitscht hatte.
    »Ich schmore hier, Tag um Tag«, sagte sie. »Ich muss hier raus.« Sie blieb auf dem Weg stehen. Ihre Augen waren vollkommen klar, Jules konnte keine Tücke darin entdecken. »Wenn du je von hier weggehst, nimm mich mit.«
    Ihm stockte der Atem. Was sagte sie da?
    Ach so. Dass sie jemanden brauchte, der sie auf der Reise beschützte, dass sie ein Maultier oder Pferd benötigte, sofern er eins besaß, um darauf zu reiten.
    »Ich gehe nicht von hier fort, Mamselle«, antwortete er schroff. »Macht es gut.« Er verließ den Weg und nahm eine Abzweigung zu seinem kleinen Haus, seiner Zuflucht.
    »Hey.«
    Jules zuckte

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