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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Namen.
    Zeigt uns, wer uns mit dem Feuer Böses will,
    Wer einen Stein über uns hält,
    Wer uns unter Wasser zieht,
    Wer einen Sturm heraufbeschwört,
    Um uns zu zerstören.
    Ich fing an, mein Lied zu singen. Das letzte Mal, als ich einen Zauber angewandt hatte, hatte ich mir Q-Tips Seele einverleibt. Der Zauber war gewaltig und mächtig gewesen, genau wie dieser hier. Unter meiner Nervosität und meiner Entschlossenheit fühlte ich mich zutiefst erschöpft und wie mit einem Makel behaftet. Vielleicht hatte Melita auch so angefangen. Ich wusste nicht, wo der Gedanke hergekommen war, doch er ließ mich erschauern. Ich schob ihn zur Seite, schloss die Augen, versuchte mich zu konzentrieren und fuhr mit meinem Gesang fort.
    Thais stimmte nicht mit ein, doch über unsere verschränkten Hände fühlte ich, wie ihre Kraft mit meiner zusammenwuchs. Ich konnte ihre Kraft tatsächlich fühlen. Seit unserem letzten Zauber war sie greifbar geworden, stärker.
    Idealerweise hätte jetzt vor unserem inneren Auge ein Foto mit einem großen gelben Pfeil auftauchen müssen, der auf den Schuldigen wies. Aber neeein. So funktionierte Magie leider nicht. Man musste ihr auf halbem Weg entgegenkommen.
    Ich sang eine Weile weiter – ich weiß nicht, wie lange. Nichts passierte, und ich beschloss, das Ganze als Fehlschlag zu verbuchen. Ich hörte auf zu singen und öffnete die Augen, um Thais meine Entscheidung mitzuteilen. Sie hatte die Augen im genau gleichen Moment geöffnet und so standen wir einfach nur da und sahen einander an. Im nächsten Moment wurde ich in ihre Augen gezogen, in die grünen Riefen ihrer Iris, die aussahen wie die Adern eines Blattes. Es war, als würde man in einem Strudel versinken, im Wurmloch eines Science-Fiction-Films. In den Tiefen ihrer Augen empfing ich die ersten Bilder.
    Der verschwommene Umriss meines Autos erschien wie bei einem verwischten Polaroid. In der Ferne sah ich eine dunkle Gestalt, und aus irgendeinem Grund wusste ich, dass sie Lippen und Hände bewegte, doch ich hätte nicht sagen können, ob es ein Mann oder eine Frau war.
    Noch einmal sah ich mein Auto in Flammen aufgehen und zuckte zusammen. Wie in einem alten, flackernden Film sah ich mich, ein verschwommenes Strichmännchen, das aus dem Auto sprang und davonlief. Ich fühlte jemandes dunkle Enttäuschung, weil ich nicht gestorben war, und mein Blut begann zu kochen. Mehr Bilder strömten auf mich ein. Ich sah Thais, die in einer Straßenbahn saß, sah, wie ein roter Kleintransporter von der Fahrbahn abkam und gegen einen Laternenpfahl knallte. In der Straßenbahn war Thais aufgestanden und aus dem Weg gegangen, bevor der Pfahl sie aufspießen konnte.
    Sah Thais das auch gerade? Ich blinzelte mehrere Male, versuchte, aus der Vision zurückzuweichen, um sie ansehen zu können. Doch es ging nicht – mein Zauber hatte das Wissen entfesselt und jetzt musste es sich bis zum Ende abspulen.
    Ich schlief in meinem Bett – ach nein, da lag Thais. Ihr Laken drehte sich zu einem dicken Strick und wickelte sich um ihren Hals. Sie begann zu würgen, um sich zu schlagen und versuchte, sich zu befreien. Das musste entsetzlich gewesen sein … Als Nächstes standen Thais und ich unter einer Laterne vor unserem Haus. Eine riesige, dunkle Wolke umgab uns, und bei der Erinnerung an den brennenden Schmerz der tausend Wespenstiche, der uns beinahe umgebracht hätte, verzog ich das Gesicht.
    Danach musste ich noch einmal erleben, wie mich dieser widerliche Typ in der Gasse im Französischen Viertel mit einem Messer bedrohte. Wieder spürte ich die Angst, das kalte Herzklopfen, die tauben Lippen, während ich verzweifelt nach einem passenden Zauber suchte. Gleich danach war Luc herbeigerannt gekommen.
    War es die ganze Zeit Luc gewesen?
    Die Bilder wurden kleiner, entfernten sich. Nein, dachte ich, denn ich hatte ja noch nichts in Erfahrung gebracht. Noch einmal sah ich, wie sich die gleichen Vorfälle ereigneten: Die Straßenbahn, die Wespen, der Überfall – doch jetzt erblickte ich jemanden am Rand der Szenen, jemand, der dastand und sich das Ganze anschaute, der die Zauber aussprach, die Gefahr auf uns lenkte. Wer war das? Zeig dich!
    Die Gestalt wurde schärfer, bekam Gesichtszüge und Kleider. Ich fühlte mich, als hätte man mir mit einem Ziegelstein einen übergebraten. Es war Richard. Richard, der die Straßenbahn beobachtete und enttäuscht war, als Thais nicht starb. Richard, der die Wespen herbeirief, zusah, wie sie uns einhüllten, Richard,

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