Eine feine Gesellschaft
an die Universität zurück.
Das University College war die einzige Einrichtung, an der nicht diese halben Kinder oder bloß aufs Geldverdienen erpichte und an-sonsten gelangweilte Erwachsene studieren. Meine Frau arbeitet, damit ich mein Studium beenden kann, und mir ist vollkommen schleierhaft, warum die das hier loswerden wollen – das University College, meine ich. Mir ist nur aufgefallen, daß die Jungs von der Uni sich ganz schön radikal gebärden, wenn es darum geht, Gebäude zu besetzen. Wenn es aber um die Unterstützung einer Institution geht, die vielleicht den Wert ihres eigenen Studienabschlusses in Frage stellen könnte, ist davon nicht mehr viel übrig. Mir ist aufgefallen, daß jeder gern Revolutionär ist, solange er glaubt, dabei nichts verlieren zu können. Verzeihen Sie die zynische Bemerkung.
Und wenn Sie wissen wollen, warum ich an diesem Kurs teilnehmen will: Ich interessiere mich für das Viktorianische Zeitalter.«
Kate lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und betrachtete die vier.
Sie hatte das Gefühl, als wäre auf seltsame Weise das Leben in ihre akademische Welt getreten, und das beeindruckte sie mehr, als es der Polizei und den Häuser besetzenden Studenten gelungen war. Sie verstand jetzt, warum McQuire die Tatsache so beeindruckend gefunden hatte, daß die Studenten am University College die einzigen waren, die ihrer Schule gegenüber Loyalität empfunden hatten. Na-türlich hatte sie das von Anfang an geahnt – nur deshalb hatte sie sich von McQuire zu diesem Lunch schleppen und zu Gesprächen 66
mit Frogmore verleiten lassen. Sie sah die vier an und dachte: »›Deine Gegenwart, so einzig, so kostbar, so außerordentlich jetzt.‹«
»Willkommen in meinem Kurs«, sagte sie schlicht.
Nach noch mehr Gesprächen mit Studenten, einer Konferenz mit einer Delegation der Studentenvertretung über Fragen des Lehrplans, einer Handvoll hektischer Telefongespräche und ähnlichen Ablen-kungen hatte Kate weder einen Wind ausgemacht noch eine Richtung, aus der er wehen könnte. Um vier Uhr machte sie sich auf den Weg zur Sitzung des Fakultätsrats und ging vorher auf die Damentoilette, wo sie auf Emilia Airhart traf, die sich skeptisch im Spiegel ansah. Offensichtlich erleichtert über die Störung, drehte sie sich um und betrachtete Kate. »Was für ein Glück Sie haben!« sagte sie zu Kates Überraschung.
»Ich?« fragte Kate. »Ich bin im Moment tatsächlich glücklich, aus persönlichen Gründen. Sieht man mir das an?«
Emilia Airhart lachte. »Wahrscheinlich«, sagte sie, »aber ich kenne Sie nicht gut genug, um das zu beurteilen. Glückwunsch, egal wofür. Das Glück, das ich meinte, ist Ihre schlanke Figur – ich wollte immer so gern schlank sein. Wenn man sein Äußeres doch nur selber entwerfen könnte, statt eine ziemlich schreckliche Figur ver-erbt zu bekommen. Dann wäre ich groß und schlank wie Sie, trüge die Haare im Nacken zusammengebunden und wäre attraktiv, aber nicht charmant. Das letzte Wort soll Sie nicht kränken, ich meine das als Kompliment. Ich kann Charme, wie Camus ihn definiert, nicht leiden: Charme ist die Fähigkeit, ein Ja als Antwort zu bekommen, ohne daß man eine Frage gestellt hätte. Mir sind Menschen lieber, die Fragen aussprechen müssen. Trotzdem ist es quälend, die Seele einer Greta Garbo zu besitzen und den Körper der Königin Victoria.
Wie gesagt, Sie haben Glück.«
Kate lachte. »Sie sehen wirklich nicht wie Königin Victoria aus«, sagte sie.
»Natürlich tue ich das. Sie müssen sich nur die Königin Victoria in Strumpfhosen und flachen Schuhen und Röcken bis ans Knie vorstellen. Sind Sie auf dem Weg zur Sitzung des Fakultätsrats?«
»Ja«, sagte Kate. »Und zum erstenmal in meinem Leben habe ich nicht den Wunsch, es möge mir noch die passende Entschuldigung einfallen, um nicht teilzunehmen. Ich gehe nämlich mit einer Absicht hin: Ich habe mich entschlossen, für das University College zu tun, was ich kann. Wissen Sie etwas von der Geschichte?«
»Nicht die Spur, sollte ich?«
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»Vielleicht«, sagte Kate. »Aber jetzt ist nicht die Zeit für Erklä-
rungen. Die Universität hat vor, es abzuschießen, und das wäre mehr als schlimm, finde ich.«
»Der widerliche alte Cudlipp, nehme ich an. Schrecklicher Mann.
Wenn er nur mehr Ähnlichkeit mit Pnin hätte.«
»Mit wem?«
»Sie kennen doch Pnin, den Mann in Nabokovs Roman. Cudlipp sieht genauso aus wie er, aber er könnte kaum verschiedener sein. Es fällt mir schwer,
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