Eine feine Gesellschaft
wir in der Zwischenzeit das 62
Vorlesungsverzeichnis durchgehen?«
»Mark, was halten Sie von Cudlipp?«
»Er macht seinen Job ordentlich, wie ich den meinen. Michaels, als Leiter des Fachbereichs, beklagt sich hin und wieder über Cudlipp, aber schließlich tut jeder seine Arbeit, nicht wahr?«
»Ich frage mich oft«, sagte Kate, »ob er das wirklich tut. Wissen Sie irgend etwas über das University College?«
»Sicher«, sagte Mark überraschenderweise. »Ich habe in letzter Zeit Studenten von dort in meine Kurse aufgenommen. Sie sind gut.«
»Komisch, das haben Sie nie erwähnt«, sagte Kate.
»Um die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht sicher, ob das koscher ist. Je weniger darüber geredet wird, desto besser.«
»Glauben Sie, Cudlipp wäre dagegen, wenn er davon erführe?«
»Zweifellos. Aber er kann eigentlich gar nichts dagegen machen, weil wir keine Scheine vergeben, und was das University College seinen Studenten gibt, ist deren Sache. Er sorgt nur eisern dafür, daß kein Student vom University College an Pflichtseminaren der Uni teilnimmt oder umgekehrt, und genau so weit reicht seine Macht.«
»Warum mauert er so gegen das University College? Ich weiß Bescheid, was die finanziellen Fragen angeht, aber seine Leidenschaft hat tiefere Wurzeln als das Haushaltsdefizit der Universität.«
»Nun, er ist wohl der Meinung, der Abschluß am University College bedrohe den Wert unserer Abschlüsse. Er will, daß die Ausbildung an der Universität absolut erstklassig ist, und all diese älteren Studenten, die ihren müde gewordenen Verstand an die Universität zurücktragen, empfindet er als eine Bedrohung.«
»Höre ich da die Rufe unserer Retter?« sagte Kate.
»Professor Everglade«, rief eine Stimme. »Schalten Sie den Not-knopf auf Ans, und schieben Sie die Tür auf.«
Mark sah Kate an und zuckte mit den Schultern. »Na gut«, sagte er. »Sind Sie bereit, mit mir in den Schacht hinabzutauchen?« Er drückte den Knopf und rüttelte an der Innentür, die sich zu seinem Erstaunen tatsächlich öffnete. Unter ihnen hatte man die Tür zum dritten Stock geöffnet. »Haben Sie eine Dame bei sich?« fragte die Stimme. »Professor Fansler ist hier«, sagte Mark und zwinkerte Kate zu, »falls das Ihre Frage beantwortet. Ich nehme an, der Trick besteht darin«, sagte er zu Kate, »denen dort unten im dritten Stock in die Arme zu sinken und nicht in den Schacht zu fallen. Die Ritterlichkeit gebietet, daß Sie den Anfang machen, damit ich Ihnen in die wartenden Arme da unten helfen kann. Wir haben noch keinen Blick in das 63
verdammte Vorlesungsverzeichnis geworfen.«
Es war typisch für Kates postrevolutionäre Haltung, daß das Steckenbleiben in einem Aufzug – was sie früher vielleicht mal für ein Abenteuer gehalten hätte – ihr heute nicht einmal mehr erwähnens-wert schien. Sie rannte die Treppen vom dritten bis zu ihrem Büro im achten Stock hinauf, entschuldigte sich für die Verspätung und stürzte sich gleich in ein Gespräch mit vier Studenten, die an ihrem Kurs über Viktorianische Literatur teilzunehmen hofften. John Peabody kannte sie schon von dem Mittagessen, das Bill McQuire arrangiert hatte. Er stellte die übrigen vor: Barbara Campbell, Greta Gabriel und Randolph Selkirk. »Bestimmt wollen Sie einiges über uns erfahren«, sagte Peabody. »Warum wir am University College sind und warum wir in Ihren Kurs wollen und so. Vielleicht ist es am besten, wenn einfach jeder von sich erzählt.« Für Kate, die sich überlegt hatte, wie sie bei ihrer grundsätzlichen Abneigung gegen persönliche Fragen unaufdringlich Informationen bekommen könnte, war diese unverblümte Einleitung eine große Erleichterung.
»Wir sind alle ans College zurückgegangen«, begann Mr. Peabody, »nachdem wir unser Studium freiwillig unterbrochen hatten – der Begriff ›freiwillig‹ muß jedoch sehr weit gefaßt werden. Jedenfalls sind wir nicht von der Uni geflogen, wir haben uns sozusagen selbst hinausgeworfen. Als wir später mit der entsprechenden Reife beschlossen, wieder zu studieren, hatten wir kein Interesse mehr an Studentenwohnheimen, dummen Spielen und der Gesellschaft von Achtzehnjährigen, die noch am Rockzipfel ihrer Familien hängen.
Deswegen war für uns das University College so etwas wie ein Wunder. Es gibt im ganzen Land wenige Studienmöglichkeiten für Erwachsene, nicht einmal in New York – Colleges, an denen man Diplome machen kann und nicht nur in Vorlesungen und Kursen die Zeit
Weitere Kostenlose Bücher