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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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schade drum, so ein hübscher Kerl.«
    Will hatte recht. Mit bloßem Oberkörper, eine Kette mit dem Wappenmedaillon des Kaiserreichs golden schimmernd um den braunen Hals geschmiegt, war dieser junge Kentaur ein Meisterwerk der Schöpfung. Selbst mit dunklen Schatten unter dem einen Auge, das wir sehen konnten, selbst mit dem puderbestäubten Zickzackmuster aus verknoteten Fäden an der Seite des Pferdeleibs, war er wunderschön. Der Jünglingstorso ging anmutig fließend in den harmonisch geformten Pferdeleib über.
    »Er kann dich hören«, sagte Maree, »und ich wette, das geht ihm runter wie Öl.«
    Selbstverständlich hatte Rob jedes Wort gehört. Ein schwaches, zufriedenes Lächeln spielte über sein Gesicht. Er wußte um seine Schönheit, kein Zweifel, und vielleicht war das sogar seine größte Angst gewesen: er könnte für immer entstellt sein. Dieser Sorge ledig, schlief er nun beruhigt ein.
    Wir deckten ihn zu und machten uns müde ans Aufräumen.
    Maree reckte sich. »Lieber Himmel, ich bin erledigt! Ich werde mich etwas hinlegen. Nick, kommt mit, du kannst uns einen Kaffee aufgießen.«
    Die beiden gingen und nahmen ihren Wasserkocher mit. Es wirkte sehr überzeugend, und ich hatte den Kopf voll mit anderen Dingen. Mir kam nicht entfernt der Gedanke, Will ebenso wenig, daß wir hinters Licht geführt wurden.

Kapitel 16
Rupert Venables, Fortsetzung

    Will und ich machten uns jeder einen nach Pappkarton schmeckenden Becher Earl Grey und zogen uns ans andere Ende des Zimmers zurück, um Rob nicht zu stören. Hier verfütterte Will die restlichen Kekse an die Küken, bis auf einen, der ihm als Rohmaterial für eine Conplakette nach dem Muster der meinen diente, und während er mit dieser Magid-Bastelei beschäftigt war, setzte ich ihn über den aktuellen Stand der Schicksalsbahnen ins Bild.
    Da ich mich definitiv entschieden hatte, die Liste zu verwerfen, brauchte man die Linien nur stabil zu halten, bis ich Gelegenheit fand, mich näher mit Andrews eigenartigem Verhalten zu befassen.
    »Eigenartig stimmt«, s inni erte Will. »Hört sich für mich fast an, als wäre er entseelt worden.«
    »Der Gedanke kam mir auch, nur daß entseelte Menschen meistens tot sind.«
    »Nicht unbedingt. In Thule gab es einen Magier, der ist jahrelang als zwei Personen herumgelaufen.«
    »Meinetwegen, aber wenn Nick recht hat, ist Andrew mindestens vier Personen. Zwei Variationen habe ich mit eigenen Augen gesehen. Nein, Entseelen ist nicht die Lösung des Rätsels, obwohl ich auch keine andere Erklärung zu bieten habe. Wie auch immer, halt seine Bahn stabil, und wenn du merkst, daß sich wieder jemand an dem Nodus zu schaffen gemacht hat, mach die Turbationen stillschweigend rückgängig. Ich glaube, derjenige welcher ist ein unangenehmer Patron namens Gram White. We nn es sich ergibt, werde ich ihm morgen einen Dämpfer aufsetzen.«
    »Je eher, desto besser. Ein Amateurmagier? Wahrscheinlich hat er keine Ahnung, was er da tut. Was meinen denn die Leute bei diesem Con dazu, wenn sie ihre Zimmer nicht mehr an der alten Stelle wiederfinden?«
    »Sie sagen, das Hotel wäre sehr verwirrend, aber in Wirklichkeit glauben sie, daß sie sich einfach den Weg nicht merken können.«
    »Da hast du wieder einen Grund, weshalb ich nicht auf der Erde wohne. Dieses krampfhafte Suchen nach einer rationalen, wissenschaftlichen Erklärung für etwas Ungewöhnliches, selbst wenn ein Blinder mit dem Krückstock sehen kann, daß sie an den Haaren herbeigezogen ist.«
    Rob lag noch immer in tiefem Schlaf, als wir aufstanden, um zu gehen. Er war ein weiteres Problem, mit dem ich mich später würde befassen müssen. Um zu verhindern, daß jemand vom Hotel oder ein Con-Teilnehmer hereinplatzte, sicherte ich den Raum mit dem stärksten Hermetikon aus meinem Repertoire. Den guten Leuten würde es schwerfallen, eine rationale, wissenschaftliche Erklärung für einen atmenden, realen Kentauren zu finden, wenn sie sich ihm Auge in Auge gegenübersahen, auch wenn sie sich vorhin große Mühe gegeben hatten. Will versprach, zwischendurch nach ihm zu sehen. Er ließ die Entenküken im Zimmer laufen und erklärte mit Unschuldsmiene, sie wären sein Knoten im Taschentuch, um es nicht zu vergessen. Typisch Will. Ich glaube, er sagt solche Dinge, weil er mich für pingelig hält. Nun ja, wenn er sich schon wieder dazu aufraffen konnte, mich zu nerven, mußte er sich von dem Schock des Unfalls erholt haben.
    Wir fuhren mit demselben Lift nach unten, in dem

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