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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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Stasis.«
    »Betrachte die Sache als erledigt.« Zinkas Kopf verschwand.
    Das Schloß rastete klickend ein, und Maree machte sich ans Werk. Rob zuckte, stieß einen Schmerzenslaut aus und umklammerte den ehemaligen Hosenbügler so fest, daß seine Finger weiß wurden. Will und Nick zuckten ebenfalls zusammen und setzten sich auf mein Bett, von wo sie nicht so genau sehen konnten, was Maree tat. Sie blieben fast die ganze Zeit dort sitzen und rührten sich nur widerstrebend, wenn Maree einen von ihnen aufforderte, mir die Untertasse mit dem Nähgut zu reichen oder die Instrumente in den Tassen. Als Will sich nach dem ersten Mal wieder hinsetzte, sprang er sofort wieder auf. »Heiliger Strohsack«, sagte er, »die habe ich glatt vergessen!« Vorsichtig grub er in den Taschen seiner weiten, derben Jacke. Er brachte zwei gelbe, leise zirpende Flaumbällchen zum Vorschein. »Verwaiste Entenküken«, erklärte er. »Ich wollte sie eigentlich zu Hause lassen.«
    »Kekse sind drüben neben dem Kocher.« Ich hielt Maree die Untertasse hin.
    Nick und Will fütterten die Küken auf meiner Tagesdecke mit Kekskrümeln - für Rob ein Schauspiel, um sich abzulenken. Ich verstand nicht, wie er die Prozedur aushalten konnte, ohne zu schreien. Zu Maree sagte ich: »Das da sieht schlimmer aus als der Pullover deiner Tante.« Irgendwann während der ganzen Aufregung waren wir vom Sie zum Du übergegangen.
    Sie antwortete zwischen Stich und Knoten: »Ja, ich dachte erst, sie hätte sich die Brust abgeschnitten.« Dann stutzten wir beide und sagten gleichzeitig: »Sorry, Nick.«
    »Wieso?« meinte er. »Ich fand ihn auch scheußlich. Ich muß doch ihre Pullover nicht mögen, nur weil sie meine Mutter ist, oder?«
    Rob stieß einen unterdrückten Schrei aus.
    »Nick, hol ihm noch etwas Whisky«, kommandierte Maree. »Und du, Rob, versuch, dich abzulenken, erzähl was. Erzähl von diesem Kaiser, der gestorben ist; ich würde die Geschichte gern hören.«
    Also fing Rob an zu erzählen. Auf den Hosenbügler gestützt, redete er und redete und verzog nur manchmal das Gesicht, wenn der Schmerz zu arg wurde. Natürlich trug der Whisky dazu bei, ihm die Zunge zu lösen, aber ich denke, er war von Natur aus redselig. Ich konnte ihn mir ohne weiteres an unbeschwerten Tagen vorstellen, wie er mit seinen Freunden umherstreifte und schwatzte, bis diese Freunde sagten: »Rob, halt die Klappe!« Doch es hatte Atmosphäre: das Auf und Ab der jungen, rauhen Stimme, während Maree mit ihrer Flickarbeit fortfuhr, gelegentlich unterbrochen von einem spitzen Schmerzenslaut, wenn sie den nächsten Hautlappen an die passende Stelle zog.
    Das meiste von dem, was Rob erzählte, war mir bekannt und nur für seine drei anderen Zuhörer neu, aber längst nicht alles. »Der Kaiser hat Gemahlinnen dreier Klassen. Ursprünglich waren es nur zwei, Gemahlinnen zur Rechten Hand und Gemahlinnen zur Linken Hand, und sie alle wohnten im kaiserlichen Palast, aber dieser Kaiser - oh, ich vergesse immer, daß er ja tot ist - Timos IX. also, hatte noch eine dritte Klasse, seine Erwählten Gespielinnen, und diese erachtete er nicht für bedeutend genug, um sie im Palast einzuquartieren. Knarros sagt, Kaiser Timos hat - hatte - die Manie, alles zu klassifizieren. Er klassifizierte die Gemahlinnen zur linken Hand und ließ vorsorglich Plätze frei, für den Fall, daß neue hinzukamen, die höher rangierten als andere, die er bereits hatte. Zum Beispiel hat er Platz Acht nie besetzt, aber er hatte eine Neun und eine Zehn. Natürlich wurden auch die Kinder, die er von ihnen hatte, nach ihrer Bedeutung eingestuft. Knarros führte die entsprechende Liste, aber die Kinder niederer Grade hatte er nicht in seiner Obhut. Unter seiner Aufsicht, sagt er, wäre es nie so weit gekommen, daß einer hingerichtet werden mußte, weil er seiner Mutter geschrieben hatte. Aber die Kinder seiner Erwählten Gespielinnen wurden durchweg zu Zieheltern in bescheidenen Lebensumständen gegeben, weit weg von Iforion...«
    Aha, dachte ich, deshalb hatte es den Kaiser keinerlei Überwindung gekostet, den jungen Timotheo zu exekutieren. Er war nur der Sohn einer Gespielin. Entbehrlich. Außerdem hätte er später zum Ärgernis werden können, denn statistisch war er der Älteste. Die Erinnerung an den tristen Verhandlungsraum mit dem Geruch nach Holzlasur stieg in mir auf, an die ungläubige Miene des jungen Mannes, als man sein Todesurteil verkündete. Ich verpaßte einiges von Robs Bericht und bin nicht

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