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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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zog mein Taschentuch heraus, um es bestimmungsgemäß zu benutzen, dann änderte ich meine Absicht und hielt es mir als Atemschutz vor Mund und Nase. Als ich meine Tasche abstellte, drängten zwei Soldaten in den winzigen Raum.
    »Eskorte, um Euch zu General Dakros zu bringen, Herr«, meldete einer mit staubheiserer Stimme.
    Die beiden waren für mich eine Überraschung und nicht nur, weil sie so plötzlich aus den Staubschleiern auftauchten. Es waren ein Mann und eine Frau, beide jünger als ich. Ihre Uniform war die einer minderprivilegierten Einheit, blau und grau, wie ich sie bisher nur in der Ferne wahrgenommen hatte, wenn es darum ging, das Volk im Zaum zu halten, die einfachen Untertanen Seiner Kaiserlichen Majestät, die ihrem Herrscher bis auf Rufweite (wahrscheinlicher nur fast bis auf Rufweite) nahekommen durften. Beide wirkten todmüde, man sah es an ihren Bewegungen, den blassen Gesichtern und den dunklen Ringen unter den Augen. Der Mann hatte einen mehrere Tage alten Stoppelbart, das Haar der Frau war von graurotem Staub zu einer struppigen Mähne verklebt.
    »Habt die Güte, Euch dicht bei uns zu halten, Herr«, sagte sie, ebenso heiser wie ihr Kamerad. »Teile des Gebäudes sind stark einsturzgefährdet.«
    Ich verstand, was sie meinte, als wir uns in dem Ziegelstaubnebel auf den Weg machten. Schon nach wenigen Schritten bogen wir abrupt in einen Seitengang ein, einen niedrigen Flur mit Steinfußboden, in dem ich noch nie gewesen war. Als ich über die Schulter nach dem Korridor ausschaute, den ich gewöhnlich entlangging, erhaschte ich einen Blick auf freien H imm el zwischen verbogenen und geborstenen Trägern. Irgendwo stürzten laut krachend schwere Brocken Mauerwerk herab. Beim erstenmal zuckte ich zusammen, aber meine Begleiter blieben ungerührt. Offenbar passierte es dauernd, und sie hatten sich daran gewöhnt.
    »Wurde der Palast bombardiert?« fragte ich krächzend.
    »Große Bombe im Thronsaal«, antwortete der Mann.
    »Hat mittendrin ein Riesenloch gerissen und sämtliche Stabschefs und den gesamten Rat ins Jenseits befördert«, ergänzte die Frau.
    Er: »Und alle Kaiserlichen Gemahlinnen. Und beim Einsturz der Amtsstuben wurden viele wichtige Beamte erschlagen.«
    Sie: »Auch eine Menge Soldaten.«
    Ihr Kamerad nickte düster. »Die Leibgarde war im Thronsaal angetreten. Fast alle unter den Trümmern begraben.«
    Nicht zu vergessen Seine Kaiserliche Hoheit, dachte ich. Bingo! Exzellentes Timing, wer immer du warst. Die oberen Zehntausend des Imperiums eliminiert - alle auf einen Streich. Es reizte mich zum Lachen und jagte mir gleichzeitig einen kalten Schauer über den Rücken. Ich setzte hinter meinem Taschentuch eine angemessene Trauermiene auf und stelzte vorsichtig hinter den beiden Uniformen her. Sogar in diesem halbwegs sicheren Korridor hatten sich hier und da die Steinplatten des Fußbodens gehoben, und an manchen Stellen senkte sich die Decke. Wo das der Fall war, schoben wir uns dicht an der Wand entlang.
    Endlich, nach einem langen Marsch reich an Umwegen, standen wir unter dem Türbogen einer großen Eingangshalle mit Kuppeldach. Eine Art Notbeleuchtung verwandelte die in der Luft hängenden Staubschleier in eine bläuliche Milchsuppe. Oder lag es an meiner Brille? Ich nahm sie ab, und während ich mit meinem staubigen Taschentuch die Gläser putzte, beobachtete ich, wie meine Eskorte sich aufraffte, Haltung anzunehmen, und gutwillig, aber einigermaßen kraftlos salutierte. Einstimmig heiser meldeten sie: »Magid Venables ist eingetroffen, Herr General.«
    Irgendwo in der milchigen Helligkeit äußerte eine Tenorstimme: »Gott sei Dank!« Eine zweite Person hustete bellend, und die tiefe Stimme eines dritten sagte: »Großartig. Bringt ihn her!«
    Ich setzte die Brille wieder auf und trat weiter in die Halle hinein. In Anbetracht dessen, was mir von meiner Eskorte berichtet worden war, hätte ich von der Zusammensetzung der Interimsregierung nicht überrascht sein dürfen. Aber ich war es. Da saßen die drei in verschiedenen Haltungen der Erschöpfung um einen Tisch, auf dem sich Akten und andere Dinge türmten. Die Tenorstimme gehörte einem Zauberer oder Magier oder wie immer man unsereins in Koryfos nennt, der jünger aussah, als ich war. Seine Augen waren vom Staub dermaßen gerötet, daß ich erst dachte, sie bluteten. Sein linker Arm schien verletzt zu sein, und er hatte den geckenhaften kurzen Umhang, den das Reich seinen Jüngern der Magie vorschrieb, praktisch

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