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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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mehr verschw imm ende Landschaft hinausschaute. Trotz der Vorhänge wurde es hell im Zimmer, und ich hoffte, das wäre der Grund für den grauen Schleier dort draußen, aber ich fürchtete, in Wahrheit begann die Straße zu verblassen. »Sie wird kommen«, sagte Will. »Er hat den richtigen Wunsch ausgesprochen, und er hat sich nicht umgeschaut, obwohl er ihre Schritte hörte. Er hat sie gehört, Bruder. Und es war klug von ihm, sich nicht umzusehen. Würde mich nicht wundern, wenn du recht hättest, und es gäbe noch eine weitere Strophe, die Si kennt oder jemand anders oder irgendein Magid, von dem wir gar nichts wissen. Außerdem mußt du bedenken, der Weg ist lang, und sie ist klein. Kurze Beine. Sie wird kommen, glaub mir . Warum gehst du nicht inzwischen und holst uns frischen Kaffee? Ich bleibe und passe auf die Kerzen auf. Es ist ein Trick dabei, sie auf ganz kleiner Flamme schmurgeln zu lassen.«
    Guter alter Will! Da hielt er einen langen Sermon zu meinem Trost und meiner Erbauung. Er sah mir an, daß ich es in der Enge des Zimmers nicht mehr aushalten konnte. Ich war sicher, daß Nick gelogen hatte, und Will war es ebenfalls. Gelogen nicht in bezug auf das, was Maree sich gewünscht hatte - das konnte man ihm ohne weiteres glauben -, sondern was seinen eigenen Wunsch anging. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Nick auf etwas verzichtete, nicht einmal für Maree, nie und nimmer. Bevor ich hinausging, lächelte ich Will zu, aber es war mehr ein Zähnezeigen. Dafür hörte es sich fast normal an, als ich sagte: »Kaffee, geht in Ordnung. Und wenn ich schon einmal unten bin, werde ich auch gleich Stan ins Bild setzen und mit Dakros sprechen. In ungefähr einer halben Stunde bin ich wieder da. Alles klar?«
    Dann wurde es höchste Zeit, daß ich aus dem Zimmer kam. Ich lief den Flur entlang und nahm die Treppe nach unten, im Aufzug wäre es mir zu eng geworden. Rob verschwunden, Maree vermißt; Rob verschwunden, Maree vermißt - eine Stufe nach der anderen, mit bleischweren Füßen. Meine Schläfen hämmerten. Im Mund ein scheußlicher Geschmack. Kaffee war lebenswichtig. Rob verschwunden, Maree vermißt... Sonst war mein Kopf leer,
    bis auf ein gelindes Erstaunen, als ich zu der breiten Treppe kam, wo die Party stattgefunden hatte, und kaum noch etwas auf die nächtlichen Ausschweifungen hindeutete: ein bißchen Flitter, ein paar Zigarettenstummel und ein schaler Geruch ...
    Frische Luft. Ich brauchte frische Luft, sofort. Noch dringender als Kaffee. Ich trat durch die Feuertür - Rob verschwunden, Maree vermißt - in den Geruch nach Bohnerwachs und die Geräusche sonntagmorgendlich gedämpfter Raumpflege. Business as usual. Hotels sind erstaunliche Einrichtungen. Das Ende der Welt steht bevor, und man serviert Frühstück von acht bis zehn. Ich roch Toast, und mir wurde übel. Bloß nicht noch mehr Essensgerüche, sondern auf kürzestem Weg durch das Foyer und von dort um das Gebäude herum zum Parkplatz. Statt mich also in Richtung Frühstückszimmer zu wenden, eilte ich die Treppe hinunter auf das gläserne Portal zu.
    Gram White, in seiner Kutte und den Stab in der Hand, stand mitten im Foyer und wartete auf mich.
    Es war wieder eine dieser Situationen, wenn alles in Zeitlupe abzulaufen scheint. Ich weiß noch, meine erste Reaktion war ein stummer innerer Aufschrei: O nein, nicht vor dem Frühstück!, der mir im selben Moment verriet, daß ich mit meinem Entschluß, erst frische Luft zu schnappen, einem fremden Willen gehorcht hatte. R. Venables in seiner Paraderolle als dummer August ... Doch ich hatte auch Zeit, mich in dem stillen, palmendekorierten Foyer umzuschauen, und entdeckte, daß ich in den Spiegeln an der Decke außer der verkürzten Gestalt von Gram White auch die ausländische Rezeptionistin Odile sehen konnte, die hinter dem Tresen am Computer tätig war. Am heiligen Sonntag! Das Mädchen wurde ausgebeutet. Aber das nur nebenbei, hauptsächlich verrieten mir ihre Anwesenheit und der Ort der Konfrontation, daß White eine Blitzaktion plante, ruckzuck und für den Uneingeweihten kaum wahrzunehmen. Etwas, worin er geübt war, seine Spezialität. Damit wußte ich, was er vorhatte.
    Ich zögerte nicht, keine Sekunde. Ich sprang die letzten Stufen hinunter und stürmte auf ihn zu.
    Meine Attacke brachte ihn aus dem Konzept. Als er begriff, daß es keine Präliminarien geben würde, und das Tor öffnen wollte, war ich schon über ihm, packte die Ränder der sich weitenden Öffnung mit beiden

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