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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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magische Schwelle, wo sie stehenblieben und sich mit glänzenden Saphiraugen umschauten. Beim Anblick des Zimmers wandten sie sich mit offensichtlicher Befriedigung einander zu und beknabberten sich gegenseitig die breiten blauen Schnäbel. Dann watschelten sie gravitätisch ins Zimmer hinein. Sie waren so groß wie Gänse und hatten Schwimmfüße, also handelte es sich um Wasservögel, aber keine mir bekannte Art. Ihr Auftauchen stellte mich vor ein Rätsel, bis der Lichtschein der Kerzen sie erreichte und die volle Pracht des blauschattierten Gefieders sichtbar wurde, von dem satten Indigo der Flügel bis zu dem zarten Himmelblau der Brust. Es waren Buktarys aus Thule, übergroße Buktarys. Nie zuvor hatte ich Enten gesehen, die so groß waren oder so gesund oder so eindeutig intelligent.
    Sie kamen geradewegs auf mich zu, wetzten zum Zeichen der Freundschaft die Schnäbel an meinem Hosenbein. Dann schauten sie aus glänzenden runden Augen verschmitzt zu mir auf.
    Was sagst du dazu? schienen sie zu fragen.
    »Guter Gott!« rief ich laut. »Was sagt man dazu?«
    Will wachte sofort auf. Wahrscheinlich war jetzt ohnehin Zeit zum Melken bei ihm zu Hause. »Wasn?« nuschelte er schlaftrunken. »Hat Vendela wieder Bauchweh gehabt?«
    »Nein.« Ich lachte. »Deine Entenküken sind wieder da, wundersam verwandelt. Schau sie dir an.«
    Will setzte sich auf, schaute, rieb sich die Augen, raspelte mit den Händen über das stoppelbärtige Gesicht und schaute wieder. »Ich kann’s nicht glauben«, sagte er. »Wie sind sie so groß geworden?« Er stand auf und kam zu uns. Die Enten drehten sich um und senkten die Köpfe vor ihm, fast, als ob sie sich verneigten. »Und wie sie glänzen! Richtige Schönheiten. Und sie sehen klug aus. Ich glaube, ich werde die beiden in den engeren Familienkreis aufnehmen müssen; wer könnte es übers Herz bringen, sie zu verkaufen?«
    »Ich will sie haben. Bitte, Will, ist das möglich?« Die Rückkehr der Tiere und ihre Metamorphose erschienen mir wie ein gutes Omen, deshalb wollte ich sie haben, und weil sie mich als Freund betrachteten. Und falls sich herausstellte, daß sie nicht als Glücksboten geschickt worden waren - nun, ich wollte sie trotzdem haben. Sie waren wunderschön.
    »Tja, die Spezies ist auf der Erde nicht heimisch«, meinte Will zweifelnd. »Aber was soll’s, sie sind ein Pärchen. Und es scheint, daß sie dich mögen. Weshalb also nicht?« Er warf einen Blick in das dunkle Land. »Sonst rührt sich nichts da draußen?«
    »Nein.«
    Er betrachtete mich und die restlichen Kerzen. »Leg dich hin, du siehst völlig erledigt aus. Wir haben noch gut sechs Stunden Brenndauer Frist - oder sollten sie haben. Du hast die Flammen zu groß werden lassen.«
    Ich wollte nicht schlafen. Ich wollte nicht zugeben, daß ich aus Aberglauben die Kerzen hatte höher brennen lassen, um mit ihrem Schein den Reisenden im Schattenland Kraft und Trost zu spenden. Ich wollte gar nichts. Mir war hundeelend vor Angst und Übermüdung.
    »Leg dich hin«, befahl Will. »Ich halte Wache.«
    Widerstrebend stand ich auf und nahm den von Will angewärmten Platz im Bett ein. Die Enten folgten mir und ließen sich auf der Bettdecke nieder.
    Will nickte beifällig. »Recht so. Was dagegen, wenn ich mir den letzten Teebeutel nehme?«
    Das waren die letzten Worte, die ich für lange Zeit hörte.
    Als ich aufwachte, wurde es draußen langsam hell, aber Will hatte die Vorhänge nicht aufgezogen, weil im Halbdunkel die Straße und die Schattenlandschaft deutlicher zu sehen waren. Das Zimmer wirkte schäbig und seltsam fremd, erfüllt von zweierlei Helligkeit - nüchternes Morgengrau, das in Bahnen durch die Vorhänge fiel, und der mystische Schimmer der Kerzen und des Pfades, der mit dem Erlöschen eines jeden Kerzenpaares weiter vorgedrungen war. Das Tageslicht zeigte uns die Landschaft nicht weniger dunkel, aber grotesk aus dem Lot geraten; sie schwebte im Hintergrund meines Zimmers. Die Enten hatten den Kopf unter den Flügel gesteckt und schliefen.
    »Ich habe dich geweckt, weil ich glaube, daß sich da draußen etwas bewegt«, sagte Will ohne den Blick von der Landschaft abzuwenden.
    Ich sprang auf und stellte mich neben ihn. Von hier aus wirkte die Schattenlandschaft natürlicher und realer, aber ich konnte nichts Lebendes entdecken.
    »Da.« Will streckte den Arm aus. »Es kommt den Hügel hinunter.«
    Ein Lichtschimmer! Bei Gott, ein Lichtschimmer, der sich stetig in diese Richtung bewegte! Ich verfolgte,

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