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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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ich mir noch klar werden. Aber Nick ... Er stand keineswegs ganz oben auf meiner Beliebtheitsskala, seit er Maree in Babylon zurückgelassen hatte. In seine neue Rolle würde er sich erheblich leichter einfinden, als seine armen, ermordeten Halbgeschwister es gekonnt hätten, die aus bitterster Armut und Unwissenheit plötzlich auf den Gipfel von Reichtum und Macht versetzt worden wären. Nick hingegen besaß einen komplexen kulturellen Hintergrund und mußte sich nur an steifes Hofzeremoniell gewöhnen. Jungen in seinem Alter sind anpassungsfähig, auch wenn er nach meiner Einschätzung keinen Spaß daran hätte. Um so besser! In meiner momentanen Gemütsverfassung erfüllte mich diese Vorstellung eher mit Genugtuung.
    Nur - war es einem Vierzehnjährigen zu gönnen, mochte er auch noch so egoistisch und egozentrisch sein, daß er in eine Situation hineingestoßen wurde, über der Dakros sein Haar verlor und Jeffros sich in einen Schatten seiner selbst verwandelte?
    Die entscheidende Frage lautete, war Nick bestimmt, der nächste Herrscher des koryfonischen Imperiums zu sein? Normalerweise spürt man, sehr deutlich, wenn etwas bestimmt ist, und ebenso deutlich, wenn nicht.
    Ach, zum Henker! dachte ich, als ich in den Lift stieg. Maree liebte Nick. Man brauchte nur zu sehen, wie sie ihn beim Frühstück bemutterte, um zu erkennen, wie sehr sie ihn ins Herz geschlossen hatte. Sie mochten nicht gewußt haben, daß sie Bruder und Schwester waren, aber sie waren trotzdem Freunde geworden. Maree wäre fassungslos, wenn sie wüßte, daß Nick mit der Kaiserkrone zugleich sein Todesurteil empfing, denn er würde den Zusammenbruch des Reichs nicht überleben. Damit stand mein Entschluß fest. Ob bestimmt oder nicht, ich würde Marees Wünsche respektieren. Zu dumm, daß ich keine Ahnung hatte, wie ich es anstellen sollte, dachte ich, als sich im fünften Stock die Aufzugtüren öffneten.
    Erst jetzt merkte ich, wo ich war, aber ich hatte keine Lust, noch einmal nach unten zu fahren. Wir konnten das Frühstück auch beim Zimmerservice bestellen. Mein jüngstes Ringen mit dem Nodus schien die Dinge mehr oder weniger dorthin zurückgeführt zu haben, wo sie am Donnerstag gewesen waren. Nummer 555 lag nun lediglich ein paar Schritte den Flur hinunter.
    Be im Öffnen der Tür stieg mir aromatischer Kaffeeduft in die Nase. Das achte Paar Kerzen brannte; die Landschaft hinter dem Hügelkamm war grau und wie nebelverhangen, aber noch zu erkennen. Will und Zinka saßen vor dem Badezimmer auf dem Boden und machten sich über ein üppiges Frühstück her.
    »Zinka bringt den Zimmerservice auf Trab, daß es eine Wonne ist«, erklärte Will, den Mund voll Croissant. »Sie hat den Leuten Dinge abgeschmeichelt, die auf keiner Speisekarte stehen.«
    »Für dich habe ich Pfannkuchen und Speck bestellt«, sagte Zinka zu mir. »Setz dich und iß und erzähl. Jemand hat wieder den Nodus manipuliert, und wir möchten wissen, was dahintersteckt.«
    Ich setzte mich und begann, heißhungrig zu essen, nebenbei erstattete ich Bericht. Meine Enten wachten auf. Sie zogen den stahlblau schillernden Kopf unter dem Flügel hervor, erblickten mich, erblickten Futter, breiteten die Schwingen aus und glitten anmutig zu Boden. Dann wanderten sie mit Bedacht an der Außenseite der Straße entlang, zwischen Kerzen und Tür, gesellten sich zu uns und baten höflich um ihren Anteil von den Croissants.
    »Diese Vögel sind intelligente Geschöpfe«, bemerkte Zinka respektvoll, »sie sind in Babylon gewesen. Rupert, ich weiß nicht, was ich in bezug auf Nick sagen soll.« Hier warfen wir alle einen von vielen wachsamen Blicken zum Bett, aber Nick schlief weiter, auf dem Rücken liegend und leise schnarchend.
    »Keine Chance, daß er Koryfos zusammenhalten könnte?« murmelte ich.
    Erneut wanderten unsere Blicke zu Nick, musterten ihn abwägend. Zinka und Will schüttelten beide leicht den Kopf. Ihnen wenigstens schien eine zuverlässige Vorahnung zu sagen, daß mit einem guten Ausgang nicht zu rechnen war. Zinka strich stirnrunzelnd Marmelade auf eine Scheibe Toast. »Ich weiß nicht, wie es euch beiden geht«, sagte sie, »aber nach meinem Gefühl steht für Nick etwas ganz anderes in den Sternen.«
    »Damit sind wir schon einer«, bemerkte ich niedergeschlagen.
    Zinka verfütterte den Toast an die Enten, die die Gabe ernsthaft, aber mit Appetit entgegennahmen. Will sagte: »Du könntest Dakros hinhalten, indem du Nick ein geis auferlegst.«
    »Blödsinn!«

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