Eine Frage der Balance
Erfahrung, die man gemacht haben sollte; immerhin gehört der Tod zum Leben dazu. Doch wenn Sie mir vor einer Woche erzählt hätten, etwas wie heute könnte bei einem Con passieren, hätte ich Ihnen ins Gesicht gelacht.«
»Ich habe selber nichts davon geahnt«, verteidigte ich mich.
Hier trat mein Bruder Simon zu uns und sagte, ich würde zur Audienz gebeten. Ich stand auf und ging neben ihm durch das Portal und über die Metallrampe zur Eingangsluke des Orlogs hinauf. Drinnen sah es aus wie in einem Unterseeboot: viele enge, stählerne Gänge, an jeder Biegung gekennzeichnet mit nüchternen Buchstabengruppen und Zahlen in verschiedenen Farben, ein Code, nahm ich an. Simon und ich folgten Code Rot tief in das dumpf murmelnde Herz des gewaltigen Fahrzeugs hinein, bis zu eine kleinen Kabine in einem Gang. Wir setzten uns auf einer schmale Metallbank, die eigens zu dem Zweck konstruiert worden war, einen Wachposten am Eindösen zu hindern; jedenfalls war sie verdammt unbequem.
»Warte zimm er?« fragte ich.
»In gewisser Weise.« Mein Bruder streckte unter dem langen Gewand die Beine aus. Simon ist der ruheloseste Mensch, den ich kenne. Er sieht Will ähnlicher als mir, weil er groß und untersetzt ist, aber heller als wir beide, mit hervortretenden Wangenknochen. »Ich wollte erst unter vier Augen mit dir sprechen, weil es aussieht, als wäre ich in eine Angelegenheit hineingestoßen worden, die von Rechts wegen in dein Ressort gehört.«
»Mich würde allerdings interessieren, wie du da hineingeraten bist.«
»Zinka hat mich gestern mitten in der Nacht angerufen. Ich hatte ohnehin so ein Gefühl, als ob entweder dir oder Will etwas Unangenehmes hervorstehen könnte. Deshalb, nachdem sie mich schon aus dem Schlaf gerissen hatte, dachte ich, ich könnte auch gleich herkommen und nach dem Rechten sehen. Und ich war im Transit und ganz in der Nähe des Imperiums, als mir ein Kentaur über den Weg lief und jemand, der eigentlich nur Koryfos der Große sein konnte. Sie irrten auf einem Hügel herum und wußten nicht genau, wohin sie sich wenden mußten, um nach Iforion zu kommen. Die Dinge hatten sich verändert seit Koryfos’ goldenem Zeitalter. Also nahm ich sie ins Schlepptau und führte sie nach Iforion, und dort stellte ich fest, daß ich die Wiedereinsetzung von Koryfos als Kaiser würde organisieren müssen.«
»Wie es bestimmt war«, warf ich ein.
»Ich fürchte, so ist es.« Simon fuhrwerkte mit Beinen und Gewand herum, während er redete. »Deswegen wollte ich unbedingt mit dir sprechen. Die Betreuung des koryfonischen Reiches, die eigentlich deine Aufgabe war, scheint jetzt an mich gefallen zu sein. Tut mir leid. Seine Majestät wird dir erklären, wie es dazu gekommen ist, doch es gibt keinen Zweifel, daß auch diese Entwicklung bestimmt war. Die Obere Kammer hat Kontakt aufgenommen, und du kannst damit rechnen, in Kürze von der Großmeisterin die Bestätigung zu erhalten, erstens dafür und zweitens für deine Entscheidung, Maree Mallory als neuen Magid zu berufen.«
»Eigentlich habe ich nicht...«
»Die Obere Kammer ist überzeugt, daß du hast. Sie erlauben, daß du sie protegierst, doch ihre Lehrzeit soll sie in Koryfos absolvieren, wo ich sie unterrichten werde.«
Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen. »In anderen Worten, ich bin von allen Pflichten entbunden und habe einen offiziellen Verweis zu erwarten. Werde ich wegen Inkompetenz suspendiert, oder was ist der Grund?«
»Die Dinge liegen etwas anders.« Simon hielt es nicht mehr auf der Bank. Zu seiner Ehre sei gesagt, daß er schon länger stillgesessen hatte als für ihn üblich. »Sprich mit ihnen«, sagte er und wanderte vor mir auf und ab, »und du wirst sehen. Ich könnte mir vorstellen, daß ihnen ihre eigenen Machenschaften etwas peinlich sind, aber wie auch immer, es war davon die Rede, dir im Anschluß an diese Affäre einen weniger problematischen Wirkungskreis zuzuweisen.«
»Wie eine gnadenlos wissenschaftsbesessene Welt Minderwärts von hier«, äußerte ich verbittert.
Simon unterbrach seine Wanderung und versuchte, ein Stück von der Einfassung rund um die Türöffnung der Kabine zu lösen, aber sie war fest angebracht. Also ließ er es bleiben und marschierte wieder auf und ab. Wenn es ihm gelungen wäre, sie loszubekommen, hätte er eine Stunde damit gespielt und sich dann den Spaß gemacht, sie in das Deckengitter einzuweben. Trotz meiner Niedergeschlagenheit mußte ich schmunzeln; es tat gut, Si
Weitere Kostenlose Bücher