Eine Frage der Balance
sei, sich davor zu drücken. Auf dem Rückweg hat er mir noch eine ganze Menge erzählt.«
Ich mußte unwillkürlich grinsen. »Unser Rob hört sich gern reden. Also wird Eure Krone auf ein Geschlecht von Kentauren übergehen? Gute Idee. Kentauren sind bisher in keiner Welt die Macht gewesen, die sie sein sollten.«
»Ich bin froh, daß Ihr mit mir übereinstimmt«, sagte Koryfos. »Aber mir schlägt das Gewissen, weil ich glaube, durch mich seid Ihr Eures Amtes beraubt worden. Rob und ich verirrten uns auf dem Weg zurück. Wir versuchten, zwei nicht miteinander vereinbare Dinge zu tun: nach Hause zu gelangen und Euch zu finden. Statt dessen trafen wir Euren Bruder. Die Mächte Da Oben setzten prompt Euren Bruder als Ratgeber ein, an Eurer statt.«
»Si ist erheblich kompetenter als ich«, meinte ich niedergeschlagen. »Er hat es im Handumdrehen erreicht, daß man Euch wieder als Herrscher anerkennt.«
»Er wußte, was zu tun war, gewiß. Und wie er mir sagte, ist er von nun an zum Magid des Reiches bestimmt. Ihr wärt mir lieber gewesen. Die Angewohnheit Eures Bruders, ständig auf und ab zu wandern und mit Dingen zu spielen, empfinde ich als überaus störend.«
»Soll das heißen, selbst Ihr bringt ihn nicht dazu stillzusitzen?«
»Ich bezweifle, daß irgend jemand dazu in der Lage wäre. Es ist ein Wesenszug Eures Bruders, der zu seinem Charakter gehört.«
Wieder konnte ich ein Lächeln nicht unterdrücken. Niemand ist perfekt. Koryfos war sicherlich ein außergewöhnlicher Mann, aber dennoch ... Dennoch, etwas an Koryfos konnte einfach nicht möglich sein. »Wie kommt es«, fragte ich ihn, »daß Ihr so oft entseelt werden konntet und doch zweitausend Jahre überdauert habt?«
Er schaute mich an, den goldenen Kopf zur Seite geneigt und ein Lächeln in einem Mundwinkel. In dieser Pose sah er genauso aus wie all die Statuen seiner selbst. Er antwortete mit einer Gegenfrage, die mich bis ins Mark erschütterte. »Wie viele Mitglieder hat die Obere Kammer?«
» Ihr wißt, ich kann Euch das nicht sagen. Ihr dürftet nicht einmal wissen, daß es eine Obere Kammer gibt!«
»Ganz recht. Dann werde ich es Euch sagen. Es sind präzise einundsiebzig. Es sollten zweiundsiebzig sein, aber das sind sie nicht, weil einer fehlt.«
»Aha!« Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Nur ein Archont konnte über eine so außerordentliche Lebenskraft verfügen, wie Koryfos sie besaß - oder würde einen Kentauren als seinen Nachfolger einsetzen. »Dann seid gegrüßt, edler Archont.«
»Und ich grüße Euch, Magid«, erwiderte er. »Ich mußte herkommen, um dafür zu sorgen, daß die Unendlichkeit sich nicht noch weiter Minderwärts verlagert. Das Imperium sollte das bewirken, doch es war noch nicht fest etabliert, als ich entseelt wurde. Jetzt muß ich zu Ende bringen, was ich angefangen habe. Weil dem so ist, darf ich Euch bitten, zwei Dinge für mich zu tun?«
»Nur zu. In meiner Eigenschaft als Nachbar oder als Magid?«
»Beides. Leider muß ich mein Haus aufgeben und meine Erfindungen. Würdet Ihr, Magid, Euch bereitfinden, mein Haus zu übernehmen, um es zu verwalten oder zu veräußern, wie es Euch beliebt?«
Ich dachte an meine Enten und Marees Vorstellung von mir als Standbild in Andrews Teich, und mir hüpfte das Herz. Sein Haus ist zudem größer als meins. »Mit Freuden. Was ist das andere?«
»Ich hätte gern«, sagte er, »falls es nicht zu schwierig ist, daß Ihr, wenn Ihr Euren Bericht für die Obere Kammer anfertigt, mir eine Kopie überlaßt, für das Archiv, das ich in Iforion gründen möchte.«
Ich überlegte. Dieses Anliegen hatte seine Tücken, und ich erkannte an seinem zur Seite geneigten Kopf und hoffnungsvollen Blick, daß er sich dessen vollauf bewußt war. Nicht nur, daß die Obere Kammer entschieden etwas dagegen hat, daß Berichte von Magids in andere Hände gelangen als die ihren, sie unternimmt auch Schritte, um dafür zu sorgen, daß es nicht geschieht. Ich würde mir etwas einfallen lassen müssen, um ihre üblichen Stolperdrähte zu umgehen. Und ich würde ein paar erklärende Worte für den uneingeweihten Leser hinzufügen müssen. Dennoch, es war zu bewerkstelligen. Eine echte Herausforderung. »Ja, in Ordnung«, sagte ich, »aber seid nicht allzu sehr enttäuscht, wenn es nicht gelingt.«
»Ich habe volles Vertrauen zu Euch«, sagte er.
Damit war unser Gespräch beendet. Er gab mir zum Abschied einen kräftigen, elektrisierenden Händedruck, und ich wanderte durch den
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