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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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Mittagessen. Später war ich froh, mich ein wenig verwöhnt zu haben, denn der Rest des Tages war blanke Frustration - typisch für die Jagd nach Mallory. Auch wenn ich bis heute nicht weiß, wie sie es angestellt hat, ich bin sicher, es war alles ihr Werk.
    Es fing damit an, daß ich mich nicht erinnern konnte, wo ich meinen Wagen geparkt hatte. Als ich ihn schließlich wiederfand, steckte ein Strafzettel hinter dem Scheibenwischer. Auf dem Weg zu Mallorys neuer Adresse verfuhr ich mich zum zweitenmal an diesem Tag, und das, obwohl ich schon einmal in der Straße gewesen war. Endlich angekommen, konnte ich erst nach langem Umherirren einen Parkplatz finden, und es war nach fünfzehn Uhr, als ich schließlich auf den Klingelknopf des hohen, frisch verputzten Regencyhauses drückte.
    Die Frau, die mir öffnete, war ebenso tiptop angemalt wie das Haus. Wahrscheinlich hätte sie gut ausgesehen, auf eine dunkle, zigeunerhafte Art, hätte sie nicht des Guten zuviel getan. Unter dem Make-up zeigte ihr Gesicht die Spuren asketischer Diät. Ihr dunkles Haar war mit bronzefarbenen Strähnchen aufgepeppt, der kompromißlos schlanke Körper wurde durch einen engen schwarzen Rock und einen Designerpullover zur Geltung gebracht. Dieser Pullover faszinierte mich. Es war einer von denen mit einer paillettenbesticken Satinapplikation frei nach Augenmaß an einer Schulter. Ein sinnloseres Gebilde war kaum vorstellbar. Ich betrachtete es dermaßen gebannt, daß ich einen Moment brauchte, um zu merken, daß die Frau nicht Maree Mallory sein konnte. Sie war min destens Mitte Dreißig.
    Offenbar dauerte es ihr zu lange, bis ich mich äußerte. Sie tippte mit einem perfekt manikürten und rotlackierten Fingernagel an den Türrahmen und fragte ungeduldig: »Ja, bitte?«
    »Entschuldigen Sie die Störung«, sagte ich. »Ich bin gekommen, weil ich mit Maree Mallory sprechen möchte. Wegen einer Erbschaft.«
    Als ich den Namen »Maree« aussprach, versteinerte ihre Miene. Kein Zweifel, daß sie Maree haßte, und dadurch, daß ich sie erwähnte, hatte nun auch ich ihre Sympathie verscherzt.
    »Ich fürchte, meine Nichte hat soeben das Haus verlassen.« Man sah ihr an, daß sie sich freute, mich enttäuschen zu können.
    »Haben Sie eine Ahnung, wann sie zurückkommen wird?«
    »Nicht die geringste«, gab sie mit unüberhörbarer Genugtuung Auskunft. »Wenn es meiner Nichte einfällt, irgendwelche Ausflüge zu unternehmen, kann man nur raten, wann es ihr belieben wird, wieder nach Hause zu kommen.« Dann fügte sie hinzu, in einem Ton, als handelte es sich um eine Tragödie größeren Ausmaßes: »Und sie hat meinen Sohn Nick mitgenommen.« Ihr Benehmen ließ vermuten, Maree habe ihr den Säugling aus den Armen gerissen.
    »Tut mir leid, das zu hören«, antwortete ich auf beides. »Wissen Sie vielleicht, wohin sie wollte?«
    »Ich weiß nur« - jetzt war es die reine Schadenfreude - »daß sie fast im selben Moment weggefahren ist, als Sie geklingelt haben.«
    Ihre Schadenfreude war berechtigt. Es ist doppelt ärgerlich zu erfahren, daß man jemanden nur um Haaresbreite verpaßt hat. Für den normalen Menschen jedenfalls, für einen Magid ist es nicht ganz so schlimm. »Vielen Dank«, sagte ich bescheiden. »Vielleicht können Sie Ihrer Nichte ausrichten, daß ich nach ihr gefragt habe.« Ich reichte ihr eine Geschäftskarte. Aus der Art, wie sie danach griff, konnte ich schließen, daß die Karte, sobald sich die Tür geschlossen hatte, ritsch-ratsch im Papierkorb landen würde. Ich warf einen letzten faszinierten Blick auf die Applikation an ihrer Schulter - das Stück Satin hatte zwei perlenbestickte Tentakel, die sich hungrig nach ihrer rechten Brust streckten - und ging.
    Janine, dachte ich. Das muß Janine gewesen sein. Der arme kranke Mr. Mallory hatte hundert Prozent recht gehabt, sie als Hexe zu bezeichnen.
    Dann verbannte ich sie aus meinen Gedanken, auch ihren Pullover, und nahm den Brief heraus, den Maree Mallory mir geschrieben hatte. Jedermann hin terläßt Spuren seiner selbst in der Luft, wohin er auch geht. Dieses Fluidum hält sich zehn Minuten lang deutlich und kann auch danach noch weitere zwanzig Minuten lang verfolgt werden - oder länger, falls es sich um jemanden mit starker Persönlichkeit handelt. Briefe bewahren das Fluidum des Schreibers manchmal fünfzig Jahre lang, und der von MM hatte ihre Persönlichkeit aufgesogen wie Löschpapier. Ich brauchte nichts weiter tun, als ihn mi t in der Nähe merkbaren Spuren zu

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