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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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ich zum erstenmal das dringende Bedürfnis, das Schweigen zu brechen, und fragte ihn nach seiner neusten Erfindung. Er gab Auskunft, in seiner täuschend bedächtigen und nachdenklichen Art, die das Gerät - er nannte es eine >Varioknarre< - so genau beschrieb, daß ich Zeichnungen davon anfertigen und es selbst zum Patent hätte anmelden können. Dann verstummte er wieder.
    Ein Stück die M 4 hinunter, fing das Schweigen wieder an, mich nervös zu machen, aber ich hatte das Gefühl, nun wäre ich an der Reihe, ihm etwas zu erzählen. Normalerweise berichte ich ihm auf unseren gemeinsamen Fahrten von Softwareproblemen, auf die ich gestoßen bin. Sehr oft hat er mich auf den richtigen Weg gebracht, einfach mit einer seiner überlegten, suchenden Fragen. Diesmal jedoch berührten meine Schwierigkeiten ein Großes Geheimnis, über das ich nicht sprechen durfte. Oder doch? In einer Minderwärts gelegenen Welt wie der unseren wird niemand auf die Idee kommen, daß man über ein auseinanderbrechendes Imperium drei Universen weit weg redet.
    »Hör mal«, sagte ich, »was würdest du denken, wenn du merkst, ein Kennwort, das du brauchst, um in das Programm von jemandem hineinzukommen, ist eine Art geheimes Codewort, das dem Autor dieses Programms eigentlich nicht hätte einfallen dürfen? Ich meine, angenommen, das Wort wäre etwas Albernes, wie Humpty- Dumpty für ein sehr ernsthaftes Programm - sagen wir, Genetik -, und du wüßtest, Humpty-Dumpty gehört in Wirklichkeit zu etwas ebenso Wichtigem - sagen wir, geheime militärische Informationen. Was würdest du davon halten? Würdest du glauben, es sei Zufall?«
    Andrew meinte sinnend: »Ich habe gelernt, daß es so etwas wie Zufall nicht gibt.«
    Das hatte ich auch gelernt, und zwar als Magid, was dem Satz ein besonderes Gewicht verlieh, doch als ich ihn jetzt aus Andrews Mund hörte, glaubte ich, er habe nur eine Platitüde geäußert. Ich war enttäuscht.
    Er sagte: »Besteht die Möglichkeit, daß der Benutzer des Kennworts sich in das andere geheime Programm hineingehackt hat?«
    »Nun, möglich ist fast alles, aber es wäre im höchsten Maße unwahrscheinlich.«
    »Wenn es so unwahrscheinlich ist, dann würde ich sagen, du mußt in die Vergangenheit zurückgehen, bis zu einem Punkt, wo das Kennwort jemandem bekannt war, der es an beide Parteien weitergab - ein Lehrer zum Beispiel, der Humpty-Dumpty im Unterricht behandelte, und beide lernten es von ihm. Und dieser Lehrer vermittelte ihnen vielleicht auch das Gefühl, diese Worte wären irgendwie bedeutsam - aber das ist sekundär.«
    »Hm.« Beim Weiterfahren verarbeitete ich diesen Gedanken. Waren irgendwann in ferner Vergangenheit Magid-Geheimnisse im koryfonischen Kaiserreich Allgemeingut gewesen? Heutzutage wahren wir unsere Geheimnisse sorgfältig, hier wie dort. Es gibt einige Dinge, für die selbst Mehrwärts gelegene Welten noch nicht bereit sind. Doch es existieren immer Hinweise, Spuren von Wissen aus Vergangenheit und Zukunft, von Magids hinterlassen, d ami t man sie aufgreift, wenn die Zeit reif ist. In diese Kategorie gehörte Babylon. Ich glaube, was mich daran so beunruhigte, war die Tatsache, daß ausgerechnet Timos IX. dieses Wort ausgewählt und in einem für ihn besonders wichtigen Zusammenhang benutzt hatte.
    An diesem Punkt gelang es Andrew, wie schon oft, mich zu überraschen, indem er nachdenklich äußerte: »Es gibt nur sehr selten ein wirkliches Geheimnis.«
    »Richtig.« Ich nickte. »Die Dinge kommen an den Tag. Man denke nur an König Midas und seine Eselsohren.«
    Von da an herrschte Schweigen, bis wir in Bristol ankamen und Andrew mich bat, bei den Nails abgesetzt zu werden. Auf dem Weg dorthin verfranzte ich mich, und es war Mittag oder später, als ich ihn endlich an der gewünschten Stelle aussteigen ließ. »Wann willst du abgeholt werden?«
    »Hm.« Er überlegte. Dann erschien auf seinem Gesicht das Lächeln, das mir immer wieder zu Bewußtsein brachte, er war nicht der geistesabwesende Hans Guck-in-die-Luft, für den man ihn leicht halten konnte. Es veränderte sein schwermütiges, neurotisch wirkendes Gesicht, so daß man den scharfen Verstand dahinter erkannte. »Ich finde schon eine Möglichkeit, nach Hause zu kommen«, meinte er. »Ich weiß nicht, wie lange ich hier zu tun haben werde.«
    Das war eine Erleichterung; es hieß, ich konnte über meine Zeit verfügen. Ich entdeckte ein vielversprechendes italienisches Restaurant und gönnte mir ein gutes, ausgiebiges

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