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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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vollführte eine Vollbremsung; Reifenquietschen verriet mir, daß die Fahrer hinter mir in der Schlange das gleiche taten. Nicht nur, daß der Wagen die Fahrbahn blockierte, die sperrangelweit offene Fahrertür machte ein Vorbeifahren unmöglich. Es gab auch keinen Spielraum für ein Manöver der kühnen, kurzentschlossenen Art, denn die Fahrbahnen waren durch einen Grat aus Beton getrennt, der verhindern sollte, daß man beim Einfädeln auf die falsche Spur geriet. Auf der anderen Seite hatte sich bereits ein Stau gebildet, die Autofahrer hingen aus den Fenstern und gafften, und ihre Mienen verrieten mir, daß meine erste Vermutung, es handele sich um einen Unfall, falsch gewesen war. Man hatte diesen Wagen absichtlich als Verkehrshindernis stehengelassen. Dann sah ich die Fahrerin.
    Sie tanzte. Tanzte neben ihrem Auto auf dem Bürgersteig, eine kleine, unattraktive Person mit Brille und einer Figur wie ein Sack mit einem Strick um die Mitte. Und sie schwofte mit Hingabe. Sie ging in die Hocke, sie hüpfte, sie drehte sich im Kreis. Ihr langer Schlabberrock flatterte, das strähnige Haar flog, die Brille drohte von ihrer kaum vorhandenen Nase zu rutschen. Ihr Partner war ein Junge im Teenageralter, brünett und bemerkenswert gutaussehend, größer als sie, und er wirkte, als machte er nur deshalb gute Miene zum bösen Spiel, weil sie gedroht hatte, sonst nicht weiterzufahren. Ich sprach ihn frei. Was sie anging ...
    Ich drückte den Daumen auf die Hupe und ließ ihn dort. Eine weitere Stimme im allgemeinen Hupkonzert.
    Das Mädchen hörte auf herumzuwirbeln, aber nur, um in die Knie zu gehen und die Finger - bestückt mit Nägeln, für die sie von Rechts wegen einen Waffenschein gebraucht hätte - in Richtung der Straße zu schnippen. Es war eine Geste grenzenloser Verachtung. Der Junge tat es ihr nach, wenn auch mit erheblich weniger Überzeugung. Ich konnte sehen, daß beide dabei etwas sangen oder skandierten. Dann begann sie seelenruhig mit der nächsten Tanznummer. Ich war wütend genug, um das Blöken meiner Hupe mit einem Ausbruch von Magie zu verstärken. Sie tönte wie ein Fanfarenstoß. Hinter mir staute der Verkehr sich von einem Ende der Brücke bis zum anderen, und das Wutgebrüll des blechernen Lindwurms hallte im Flußtal wider.
    Der Junge konnte nicht mehr so tun, als wäre nichts Besonderes. Ich hatte den Eindruck, daß er sich zunehmend albern vorkam, aber die Frau tanzte ungerührt weiter, und er imitierte gehorsam ihre Bewegungen. Sie vollführten ein weiteres Schnipp-schnipp-schnipp mit den Fingern, diesmal in Richtung des felsigen Ufers, und fuhren fort mit ihren Kapriolen. Ich verlor die Geduld.
    Ich nahm den Daumen von der Hupe, stellte den Motor ab, steckte den Schlüssel ein und stieg aus. Beim nächsten Fingerschnippen erreichte ich den Wagen des Mädchens. Der Zündschlüssel steckte. Es juckte mich, die Tür einfach zuzuschlagen, nur hätten wir dann alle warten müssen, bis es ihr irgendwann gelang, das Schloß zu knacken. Ich umrundete die Kühlerhaube des Wagens und trat zu dem seltsamen Paar auf dem Bürgersteig.
    »Glück, Glück, Glück«, skandierten sie. Schnipp, schnipp, schnipp.
    »Würde es euch etwas ausmachen, euren Sabbat irgendwo anders abzuhalten?« fragte ich. Mir lag noch viel mehr auf der Zunge, aber bis dahin war ich gekommen, als ihre Aura mir entgegenschlug. Sie war Mallory. Natürlich! Sie hatte mich die ganze Zeit an der Nase herumgeführt.
    Sie blieb stehen. Sie wandte sich mir zu und sah mich an, als wäre ich soeben aus der Kanalisation hervorgekrochen. Dann legte sie unsäglich geringschätzig einen ihrer krallenähnlichen Fingernägel an den Steg ihrer Brille und musterte mich noch einmal von oben bis unten.
    Das Spiel können auch zwei spielen. Ich nahm das linke Glas zwischen Daumen und Zeigefinger und gab ihr einen Blick gleichen Kalibers zurück. »Maree Mallory, nehme ich an«, sagte ich von oben herab, bevor sie Luft geholt hatte, um loszulegen.
    »Hauen Sie ab!« sprach sie aus, was sie mir von Anfang an hatte entgegenschleudern wollen, nur daß ich ihr zuvorgekommen war. Sie hatte eine unangenehm laute, grämliche Stimme mit einem integrierten Schluchzer. Dann registrierte sie - verspätet -, was ich gesagt hatte. »Auch wenn Sie anscheinend wissen, wer ich bin«, sie funkelte mich durch ihre Brillengläser herausfordernd an, »ich kenne Sie nicht, und ich lege auch gar keinen Wert darauf.« Der Junge hinter ihr - Nick Mallory, natürlich, und

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