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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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daß ich ihn in den Spiegeln von allen Seiten bewundern konnte, und im ersten Augenblick dachte ich, er käme her, zum Aufzug. Mir wurden die Knie weich bei der Vorstellung, mit ihm zusammen im Lift zu fahren. Doch in Wirklichkeit ging er in eine andere Richtung. Seine vier Reflexionen wandten sich nach rechts - ich glaube, es war rechts -, und das Original verschwand aus dem Bereich der Spiegel. Ich war von dieser Lichtgestalt so hingerissen, daß ich zur Ecke lief, um ihm nachzuschauen - er hatte einen irre sexy Gang -, doch er mußte in einem der ersten Zimmer verschwunden sein, denn der Flur war leer. Ich sah nur vielfache Versionen meiner selbst, klein und verloren und allein.
    Endlich kam der Aufzug, ich lief zurück und sprang hinein. Noch ein Spiegel und Maree, miesepetrig und enttäuscht. Nicht den Kopf hängen lassen, wir werden uns hier früher oder später wieder über den Weg laufen. Aber ich frage mich, was aus meinen Gefühlen für Robbie geworden ist, wenn ein völlig Fremder es schafft, mich dermaßen umzuhauen. Doch nichts hatte sich geändert. Als ich in mich hineinschaute, war die Wunde, die Robbie mir zugefügt hatte, so frisch wie am ersten Tag. Trotzdem wurde mir ganz heiß bei dem Gedanken an diesen Traummann. Ich glaube, ich bin ein ziemlich sonderbarer Mensch.
    Ich ging vollbepackt durch das Foyer zurück zum Aufzug und beobachtete mein kopfunteres Ich an der Decke, behängt mit Taschen und Beuteln, den Monitor vor dem Bauch, als Mijnheer Kees sich auf mich stürzte. »Gib her
    - ein Gopher ist auch ein Gepäckträger!« ruft er und hat mir prompt die Arzttasche entführt. »Wohin soll’s gehen?« Dabei ist er schon auf dem Weg zum Lift.
    Ich trabte schnaufend hinter ihm her. Paps hat mir voller Stolz diese Tasche geschenkt - irgendwann werde ich sie vielleicht mal brauchen können -, und ich hätte sie Mijnheer niemals freiwillig überlassen. Am Aufzug angekommen, wollte er mir auch den Monitor entreißen, aber ich hielt ihn fest und er erbeutete nur die Tüte mit den Kabeln.
    »Du kannst mir ruhig alles geben, ich bin ein ausgezeichneter Lastesel«, sagte er.
    Ich sagte nein, schon in Ordnung, danke, und so ging es hin und her, während wir nach oben fuhren, bis er fragte, ob ich ein Computerfreak sei. Ich antwortete nein, für mich sei der Computer nur ein Gebrauchsgegenstand.
    »Aber ich bin ein Freak in des Wortes mannigfacher Bedeutung«, erklärt er, und ich glaube ihm. »Ich kann Viren programmieren«, redet er weiter. »Einmal habe ich sämtliche Computer in Rotterdam dazu gebracht, Punkt zwölf Uhr mittags dasselbe Quatschgedicht anzuzeigen.« Er läßt es sich nicht nehmen, das Gedicht zu rezitieren. Auf Niederländisch. Es ist vier Stockwerke lang.
    »Sehr raffiniert«, sagte ich. Wir stiegen aus und begannen den Marsch um die fünf Ecken.
    »Wir werden deinen Computer anschließen, und dann ißt du mit mir zu Abend«, informierte er mich.
    Und ich: »Nein, danke.«
    Und er: »Aber du mußt. Ich verspreche, es wird lustig. Goudamus igitur.« Er lächelte strahlend. »Holländischer Humor.«
    Ich sagte: »Kein Geld.«
    »Aber ich habe auch kein Geld!« rief er aus. »Drum laß uns die Speisen preisen wie der weise Bettler Schacabac im Hause der Bermeziden, und mitsammen warmes Wasser trinken!«
    Eine Klette, der Typ. »Ich habe noch zu arbeiten.«
    In meinem Zimmer angekommen, wollte er unbedingt bleiben und den Computer anschließen. Nur über meine Leiche. Dem Scherzkeks war zuzutrauen, daß er meine Software mit seinem holländischen Humor verseuchte. Ihm war überhaupt alles mögliche zuzutrauen, deshalb warf ich ihn mehr oder weniger hinaus. Er steckte noch einmal den Kopf durch die Tür und lächelte schmachtend. »So ein starker Wille!« sagte er. »Ruf mich, we nn er schwach wird. Ich habe Zimmer 301.«
    »Hau ab!«
    Nachdem ich den Computer ans Laufen gebracht hatte, bekam ich Hunger. Ich nahm die Treppe, für den Fall, daß Mijnheer Merkwürden am Lift auf mich lauerte. Ich weiß nicht, was mit dem Knaben los ist (oder vielleicht weiß ich es), und überhaupt, ich leide an gebrochenem Herzen, und Kees wäre ein ziemlicher Abstieg nach dem skandinavischen Prachtexemplar, also lieber nichts riskieren. Unten suchte ich den Speisesaal. Bei den Preisen auf der Karte am Eingang standen mir die Haare zu Berge. Ich ging weiter zur Bar, in der Hoffnung, daß man dort Sandwiches kaufen konnte. Mein Magen knurrte, und ich hatte Angst, ich müßte hungern bis zum Frühstück.
    Auch

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