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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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dürfen ...«, als die Tür am anderen Ende des Saals aufflog und eine hohe Tenorstimme trompetete: »Tut mir leid, tut mir unglaublich leid! Ich weiß, ihr fangt gerade an, aber ich bleibe nicht lange!«, und Mervin Thurless kam herein und stürmte auf das Podium. »Ich wollte nur sagen, es ist eine Unverschämtheit«, ereiferte er sich. »Ich bin Gast bei diesem Kongreß und man hat mich im Station Hotel einquartiert!«
    Die Hälfte der Leute auf dem Podium sprang auf. Rick Corrie verließ seinen Platz im Publikum, ergriff den Störenfried am Arm und zog ihn hastig ein Stück zur Seite, wo er in drängendem Flüsterton auf ihn einredete. Thurless sah nicht aus, als wäre er geneigt, sich beschwichtigen zu lassen. Schließlich führte Rick ihn nach draußen; bevor die Tür ins Schloß fiel, hörte man Thurless aufbegehren: »Das ist mir egal! Ich bestehe auf einem Taxi!«
    »Das war Mervin Thurless«, verkündete der blonde Redner ungerührt.
    Zu meiner Verwunderung klatschte das Publikum und jubelte. Viele lachten. So waren sie, die Leute bei diesem Kongreß: gut gelaunt und bester Stimmung, als wäre ihnen der Spaß genauso wichtig, wie Autoren über ihre Bücher sprechen zu hören. Den Rest der außerordentlich langweiligen Zeremonie verbrachte ich damit, die Anwesenden zu studieren.
    Mein erster Gedanke war, daß die Polizei ein Problem haben würde, falls es ein Verbrechen gäbe und sie die Beschreibung eines Tatverdächtigen brauchten. Etwa neun Zehntel der anwesenden Männer trugen Bart und Brille. Davon abgesehen waren im Publikum alle Altersgruppen vertreten, von dem exzentrisch aussehenden alten Herrn mit Hörgerät bis zu dem Baby der drei langhaarigen Androgynen (das angefangen hatte zu schreien und hinausgebracht werden mußte). Es gab eine große Anzahl deprimierend bezaubernder junger Frauen, zum Ausgleich aber auch überdurchschnittlich viele Wendyförmige Kaliber. Eine ganze Reihe von ihnen saß schräg vor mir, und ich starrte fasziniert auf ihre strammen XXL- Shirts mit den cleveren oder verrückten Sprüchen. Verglichen mit ihnen fühlte ich mich zur Abwechslung rank und schlank. Von den Männern war keiner mein Typ, ob dick oder dünn. Ich habe nichts übrig für Barte und Brillen. Doch ich fand, ein oder zwei von den geschmeidigen Typen im Kampfanzug könnten mir gefallen, oder der dunkle in schwarzem Leder und mit der verspiegelten Sonnenbrille, der neben Onkel Ted auf dem Podium saß. Aber was mich am meisten wunderte: Der Saal war voll von Menschen, die ich gern kennengelernt hätte. Ein ungewohntes Gefühl für einen einzelgängerischen Stubenhocker wie mich. Dieses Gefühl erstreckte sich zu meinem Erstaunen insbesondere auf die große Anzahl verhuscht wirkender mi ttelalter Damen. Ich musterte die hagere, grauhaarige, die mir am nächsten saß - sie trug eine leuchtend bunte Patchworkjacke -, und dachte, wetten, sie langweilt sich in ihrem Beruf und kommt nicht mit ihren Kollegen aus, und deshalb führt sie zwischen Büchern ein zweites, geheimes Leben voller Leidenschaft. Ich hätte mich gern mit ihr unterhalten, über einige der Geschichten, die wir beide gelesen hatten.
    Gegen Ende der Zeremonie war ich soweit zu glauben, die Bestrafung wäre gar keine Bestrafung. Haha. Das war, bevor Janine angerauscht kam und ihre Ansprüche auf Nick anmeldete: »Komm mit, Schatz. Wir werden mit den anderen Gästen zu Abend essen.« Und schon waren beide verschwunden.
    Ich blieb den Rest des Abends mir selbst überlassen.
    Es war etwa wie der erste Tag in der Schule oder im College. Ich kannte niemanden und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, während um mich herum alle anderen genau wußten, wohin sie gingen und mit wem. Also schob ich die Brille hoch, straffte die Schultern und ging zum Auto, um meine wertvollsten Besitztümer zu holen und in mein Zimmer zu transportieren. Den ersten Armvoll brachte ich ohne Schwierigkeiten ans Ziel, einmal abgesehen von den verwirrenden Effekten der vielen Ecken und Spiegel. Es waren übrigens fünf. Ecken. Ich zählte sie. Einmal vom Lift zum Zimmer, dann vom Zimmer zum Lift. Dort stand ich, um hinunterzufahren und die nächste Ladung zu holen, als ich zufällig einen Blick zur Seite warf. Und ich erspähte den TOLLSTEN MANN, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Groß und nordisch und schlank, tiefliegende Augen, kein Bart, keine Brille - einfach unglaublich. Zum tot Umfallen, wie Robbies Tusse Davina sagen würde.
    Er stand genau am Kreuzungspunkt, so

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