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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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dort Spiegel, nicht allein hinter dem Tresen, sondern an der ganzen hinteren Wand, so daß der Raum doppelt groß wirkte. Die Schinkenbrötchen waren die teuersten, die ich je gegessen habe. Ich kaufte mir noch ein großes Glas Orangensaft und fand einen freien Platz, um mein Abendbrot zu verzehren.
    Beim Essen schwirrten mir die absurdesten Gesprächsfetzen um die Ohren. Eine Gruppe Amerikaner am Nebentisch diskutierte lebhaft über eine »gemeinsam genutzte Welt« (ich hatte imm er geglaubt, wir könnten gar nicht anders, als sie gemeinsam nutzen), und jemand dicht hinter mir wiederholte in wachsender Erregung: »Der kommt nicht ungeschoren davon, wenn ich seinen F ilk filk e!« Ein außerordentlich haariger Mann vor mir klagte: »Es ist sein Tinter, der ihn jedesmal im Stich läßt!« Dann jauchzte am anderen Ende des Raums eine Mädchenstimme: »Hiermit erkläre ich die Orgie der Gopher für eröffnet!«, und ein ganzer Chor antwortete unisono: »Reg dich ab, Tallulah!«
    Ich drehte mich nach den Spielverderbern um - und wen sah ich? Ausgerechnet? Diesen Fatzken Venables!
    Nicht, daß er gerufen hätte. Nein. Er saß auf einem der hohen Barhocker und plauderte mit dem blonden Redner von vorhin. Die Spiegel zeigten ihn mir von vorn und von hinten, also war kein Irrtum möglich. Von hinten sah ich den langen, glatten Schädel und im Spiegel das lange, glatte Gesicht mit der goldgefaßten Brille - und dieses Gesicht wandte sich eben mit einem Ausdruck des Grauens von mir ab. Gleichfalls! Wenigstens hatte er diesmal keinen Anzug an, aber eine piekfeine Wildlederjacke und ein spießiges Polohemd. Er paßte ins Bild wie die Faust aufs Auge. Ich hätte ein kleines Vermögen gewettet, daß er seine Jeans bügelte.
    »Autsch«, sagte ich und schaute hastig zur Seite. Zum Glück, weil ich deshalb im Spiegel Rick Corrie neben mir stehen sah.
    »Hallo. Kümmert sich niemand um dich?« fragte er. »Soll ich dir einen Drink holen?«
    Ich sagte, ja bitte, einen Wodka. Seine bestürzte Miene verriet mir, daß er wirklich dachte, ich wäre in Nicks Alter. Das geht vielen Leuten so. »Ich bin zwanzig«, klärte ich ihn auf. »Ehrlich. Willst du meine Geburtsurkunde sehen?«
    »Mir wäre lieber, du würdest aufhören, deine Brille so energisch hochzuschieben«, meinte er. »Das sieht bedrohlich aus.«
    Dann holte er für sich einen Pint und mir einen Wodka, und wir unterhielten uns ein Weilchen. Er ist ebenfalls ein Fan von Onkel Teds Dämonen. Ich erzählte ihm, mein Favorit sei der dreibeinige blaue, der den Kopf durch Schlafzimmerwände schiebt, um zu sehen, was die Leute in ihren Betten treiben. Er fand den am besten, der als Schleimpfütze jedem, der hineintritt, die Haut vom Knöchel frißt. Und beide waren wir der Meinung, der Dämon, der im Klo lauert, käme wirklichen Ängsten etwas zu nahe, um noch vergnüglich zu sein. Dann piepste sein Rufgerät. Er ließ das Bier stehen und eilte davon, um irgendeine Krise beizulegen. Schade. Doch ich könnte mir vorstellen, daß Rick Corrie auch im wirklichen Leben einen Beeper hat, der ihn im strategisch richtigen Moment von dannen ruft. Er gehört zu den Menschen, die es anstrengend finden, sich länger mit jemandem zu unterhalten. Ich glaube, eine Menge Leute hier sind so.
    Trotzdem war es schade, weil sein Weggang mich der Gnade einer gräßlichen Frau auslieferte, die zu genau der gegenteiligen Sorte von Menschen gehörte. Schon während ich noch mit Rick sprach, hatte ich bemerkt, wie sie sich bei den Amerikanern am Nebentisch anzubiedern versuchte. Alle sagten: »Hallo, Tansy-Ann«, und wandten ihr dann den Rücken zu. Ich konnte sie verstehen. Kaum war Rick gegangen, als die exotische Kreatur sich auf mich stürzte.
    »Erzähl mir deinen Kummer!« trillerte sie. »Ich bin Tansy-Ann, und ich besitze heilende Kräfte.« Als ich sie nur anstarrte, fügte sie hinzu: »Deine Aura ist eine dicke graue Wolke aus seelischem Smog. Was du brauchst, ist eine Rückenmassage, um deine Verspannungen und Blockaden zu lösen.« Und sie drückte mich nach vorn und begann, meine Schultern zu kneten. Unglaublich! Was gingen diese Scheuche meine Verspannungen und Blockaden an? Wenn schon, war sie eine dicke graue Smogwolke. Sie war groß und plump, und ihr Gesicht wurde beherrscht von einer langen, schnüffelnden Nase. Gekleidet war sie in etwas for ml os Orangefarbenes, übersät mit baumelndem Klimperkram aus einem gelblichen Material. Ich wand mich unter ihren kalten, stochernden Fingern

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