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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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und sich nicht um ihn sorgt. Über andere Dinge wird er vorerst schweigen. Die nackten Weiber, die Kettengefangenen, die Peitschenhiebe, die fünf Galgen – das will er ihr nicht antun. Auch über den Gouverneur und dessen goldenen Helm wird er nicht berichten, kein Wort über die kinderlose Gouverneurin und nichts über den Birnenschnaps. Das alles wird er ihr vielleicht erzählen, wenn er wieder zu Hause bei ihr am Küchentisch sitzt; wahrscheinlich aber wird er auch dann schweigen. Zehn Monate noch, zwei sind schon um. So ein Jährchen geht schnell vorbei, besonders in seinem Alter. Tellmann wird hier seine Arbeit machen und dann wieder verschwinden, mit allem anderen hat er nichts zu schaffen. Er hat dafür zu sorgen, dass hundertsechzigtausend Nieten ordentlich gesetzt werden, damit das Schiff dicht wird und etwas aushält. Wenn das erledigt ist, wird er sich höflich verabschieden, heimfahren und seinen gerechten Arbeitslohn beziehen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Das Schiff ist eine gute Sache. Mit der Götzen können die Leute Waren transportieren, über den See fahren und ihren Lebensunterhalt verdienen. Der ganze Rest ist nicht seine Angelegenheit. Dafür ist er nicht verantwortlich. Damit will er nichts zu schaffen haben.
    Zur Schlafenszeit erschien der Steward, klappte die bisher unbenutzten drei Polstersessel auf der rechten Seite des Salonwagens auseinander und zog weiße Laken darüber, strich sie sorgfältig glatt und schüttelte die Kopfkissen aus, und auf die Kopfkissen legte er je eine rote Hibiskusblüte. Er hängte die Moskitonetze an die dafür vorgesehenen Deckenhaken, breitete sie über den Betten aus und gab acht, dass die eingenähten Gewichte richtig am Boden auflagen. Auf die drei Fenstertische kamen je eine Wasserflasche mit Glas, dazu eine Banane und eine kleine Blechdose mit Butterkeksen. Der junge Wendt starrte, um den Steward nicht bei der Arbeit zu begaffen, aus dem Fenster. Er beobachtete, wie draußen im Dunkeln die Funken aus dem Schornstein der Lokomotive sprühten und tanzend in der Nacht verschwanden, als hätten sie eine Verabredung mit den Leuchtkäfern. Gelegentlich blieb der Zug stehen, um Wasser oder Brennholz aufzunehmen, dann war die Luft erfüllt vom endlosen, eintönigen Gekreisch der Zikaden; und wenn sie plötzlich wie auf ein geheimes Kommando verstummten, konnte man manchmal tatsächlich ferne Trommeln hören, und einmal ein dumpfes, markerschütterndes Brüllen, das vielleicht von einem Löwen stammte. Im spiegelnden Fensterglas konnte Hermann Wendt den Steward sehen, der auf leisen Sohlen hin und her glitt, Mal um Mal über die lang ausgestreckten Beine des schlafenden Rüter stieg und geräuschlos mit Flaschen und Gläsern hantierte; sein dunkles Gesicht war in der nächtlichen Spiegelung nicht zu sehen, ebenso wenig die Hände und die Hose, weshalb die weiße Uniformjacke und die Mütze geistergleich durch die Luft zu schweben schienen. Schließlich kamen Jacke und Mütze näher und blieben stehen. Als Wendt sich nach ihnen umdrehte, fragte der Steward in herzerwärmendem Schwäbisch, ob der Herr vielleicht noch ein Hefeweizen wünsche. Es ist dem jungen Wendt peinlich, dass ein Mann ihm das Bett zurechtmacht. Wär’s eine Frau, wär’s etwas weniger peinlich. Dann ist der Mann auch noch alt, gewiss doppelt so alt wie Wendt selbst; der könnte gut sein Vater sein, womöglich der Großvater. Undenkbar, dass sein Vater ihm jemals das Bett machen würde. Oder dass ihm zuhause in Papenburg irgendjemand, wie der Steward vorhin, die Schuhe putzen will – das wird ihm im ganzen Leben nicht passieren. Hermann Wendt weiß, dass er nach seiner Heimkehr aus Afrika nie wieder in Bettwäsche aus gestärktem Barchent schlafen wird. Nie wieder wird er in Hotelzimmern wohnen, die fließendes Wasser, elektrisches Licht und Fernsprechanlage haben. Nie wieder wird er das Frühstück ans Bett serviert bekommen, nie wieder werden Zimmermädchen vor ihm auf den Knien umherrutschen, nie wieder werden die Leute auf der Straße die Augen niederschlagen und beiseite gehen, wenn er daherkommt. Zuhause in Papenburg wird er nicht mehr ein reicher und mächtiger Mann sein, der nebenbei während des Verdauungsspaziergangs mit dem Kleingeld, das ihm in der Hosentasche klimpert, ganze Familien vor dem Hungertod rettet. Er wird auch kein vornehmer Fremder mehr sein, der sich kraft seiner noblen Geburt jedes Mädchen aus dem Volk erwählen kann, falls er das will. Zuhause in Papenburg wird

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