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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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wäre, sondern siebtens ehrlich für ihn arbeiten wolle? Die Debatte dauerte keine zwei Minuten und endete mit Wendts bedingungsloser Kapitulation. Die Frau behielt den Besen und wischte den ganzen Vorplatz. Dann ging sie ins Haus und kehrte sämtliche Ecken aus, flickte ein Loch im Moskitogitter, öffnete Wendts Reisekoffer und inspizierte gründlich den gesamten Inhalt, entdeckte den Beutel mit der schmutzigen Wäsche und trug ihn hinunter zum See, um sie zu waschen.
    Das war aber noch nicht alles. Am Abend jenes ersten Tages saß Hermann Wendt auf dem frisch gekehrten Boden vor seiner Hütte, beobachtete das Insektengewimmel an der Petroleumlampe und kaute Schiffszwieback, den er auf der Feldmarschall als eiserne Ration eingesteckt hatte. Da tauchte eine Gestalt aus dem Dunkeln auf – nicht das Hutzelweib, sondern eine andere Frau, ein kugelrundes Weib mittleren Alters, dessen orange leuchtender Rock gefüllt zu sein schien mit Kugeln in allen Größen, die durch einen geheimnisvollen Mechanismus miteinander verbunden waren und bei jedem Schritt vor und zurück und seitwärts kullerten in ihrem orangefarbenen, zum Zerreißen gespannten Rock. Auf ihrem hübschen, rasierten Kugelkopf balancierte sie einen irdenen Topf, der etwas Essbares enthielt, was sehr lecker duftete. Sie lächelte Wendt im Vorbeigehen zu, sagte: «Habari Mzungu!» und verschwand im Dunkel der Nacht. Zurück blieb ein Hauch des Essensduftes. Wendt versuchte ihn schnuppernd zu ergründen. Zwiebeln, Lauch, Bohnen. Hammelfleisch vielleicht. Kaum aber hatte die kühle Abendbrise den letzten Rest des Duftes auf den See hinausgetragen, tauchte das Kugelweib wieder auf, zog lächelnd durch den Lichtkegel, den Essenstopf noch immer auf dem Kopf, und verschwand wiederum unter Zurücklassung einer Duftspur. Wendt kaute an seinem Schiffszwieback, dachte an die nähere Zukunft und gab sich darüber Rechenschaft, dass er zeitlebens nie etwas Gescheites gekocht und nicht die geringste Ahnung hatte, wo man hier Zwiebeln, Lauch und Hammelfleisch besorgte. Da tauchte das Kugelweib ein drittes Mal auf. Diesmal aber blieb sie am Rand des Lichtkegels stehen, lächelte und drehte und wendete sich und sank in einer einzigen fließenden Bewegung zu Boden, nahm den Topf vom Kopf, stellte ihn vor sich hin und legte einen langstieligen Löffel auf den Rand, und dann nickte sie Wendt mütterlich einladend zu und sagte: «Kula, Mzungu! Kula!» Was sollte er machen, dagegen war er machtlos. Er rappelte sich auf, nahm den Löffel und begann zu essen. Die Kugelfrau hieß Samblakira. Sie sah ihm zu, wie er den ganzen Topf leer löffelte, und von da an war sie seine persönliche Köchin und brachte ihm gegen geringes Entgelt dreimal täglich zu essen – Frühstück vors Haus, Mittagessen auf die Baustelle, Abendessen vors Haus. Den Inhalt des Topfes hätte Wendt nicht immer auf Anhieb benennen können, aber nach einiger Gewöhnung schmeckte ihm alles stets ausgezeichnet.
    In den ersten Tagen fragte Wendt sich noch, was die Genossen vom Arbeiterkulturverein zu diesem Arrangement wohl sagen würden. Arbeitsteilung, na gut. Hermann Wendt baut ein Schiff für die Frau, und die Frau kocht für ihn. Sie produziert Mehrwert und wird dafür bezahlt, und immerhin verfügt sie selbst über die Produktionsmittel, das heißt über den Topf und den Löffel und ihre Feuerstelle, und den Geldwert des durch ihre Arbeitskraft entstandenen Mehrwerts beziffert sie nach eigenem Gutdünken. Soweit Wendt die Sachlage überblickte, lagen weder Entfremdung noch Ausbeutung vor. Insofern war also alles in Ordnung. Wahrscheinlich hatte die Frau sowieso irgendwo eine vielköpfige Familie, für die sie mehrmals täglich selbstbestimmt kochte, und wenn sie ein bisschen davon für ihn abzweigte, bedeutete das keine Mehrarbeit, sondern rationell erwirtschafteten Zusatzverdienst.
    Die Kollegen Rüter und Tellmann sahen das vermutlich etwas anders. In den ersten Tagen hatten sie große Augen gemacht, als Samblakira zur Mittagszeit auf der Helling auftauchte mit ihren duftenden Töpfen und Krügen, hatten sich neidvoll abgewandt und getan, als sähen sie nicht, wie der junge Wendt sich bedienen ließ und Samblakira ihm den Mund abwischte, und dass sie ihm die Namen der Speisen vorsagte und in kugelndes Lachen ausbrach, wenn er die ungewohnten afrikanischen Laute wiederholte. Aber am dritten Tag war Tellmann beim Abendspaziergang ganz zufällig zur Essenszeit an Wendts Hütte vorbeigekommen, als gerade

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