Eine Frage der Zeit
Samblakira mit ihren Töpfen da war. Er hatte freundlich gegrüßt und Anstalten zum Weitergehen gemacht, aber da ihn der junge Wendt heranwinkte und ihn sozusagen zum Mitessen nötigte, war er aus Höflichkeit geblieben, und Wendt war zu Rüters Haus gelaufen, um auch ihn zum Essen zu holen. Von da an waren Tellmann und Rüter Stammgäste in «Wendt’s Biergarten», der übrigens so hieß, weil Wendt sich von einem arabischen Händler namens Mamadou täglich frisch eine große Amphore Hirsebier liefern ließ.
In einem allerdings hielt der junge Wendt Wort. Da keine ihrer drei Hütten das geringste Mobiliar enthielt, zimmerte er eigenhändig Betten für Rüter, Tellmann und sich selbst. Er wies den alten Tellmann an, mit seinem Papenburger Schießgewehr – von dem niemand wusste, ob es wirklich funktionstüchtig war – in die Steppe zu laufen und zwei möglichst alte, zähe Zebrahengste zu erlegen. Wider Erwarten ging Tellmann tatsächlich hin und schoss zwei Zebras tot. Wendt zog ihnen die Häute ab, legte diese zwei Tage ins Wasser und schnitt sie dann in fingerbreite Streifen. Unterdessen zimmerte er aus den Stämmen junger Bäume drei Bettrahmen, nagelte darauf längs und dicht aneinander die Zebralederstreifen, flocht kürzere Streifen quer hindurch und nagelte auch diese beidseits fest. Auf dieselbe Weise entstanden zwei Sitzbänke und sechs Stühle, die recht bequem waren und meist in Wendt’s Biergarten standen. Er baute eine Feuerstelle aus schwarzen Steinbrocken, nietete auf der Werft ein paar Eisenstücke zu einem Grillrost zusammen und bastelte hell leuchtende Öllampen aus leeren Flaschen, Konservendosen und dicken Hanfschnüren. Zum Abschluss nagelte er ein weiß grundiertes Brett über die Haustür, auf dem in roter Schrift «Wendt’s Biergarten» stand. An den ersten Abenden nach der Eröffnung war es der Gemütlichkeit noch abträglich gewesen, dass Licht und Essensduft ziemlich viele Schakale und Hyänen anlockten, die mit leuchtenden Augen am Rand des Lichtkegels umherschlichen und lüsterne Grunzlaute von sich gaben. Auf Samblakiras Rat hin baute Wendt dann aus Ästen und Dornengestrüpp einen dichten, mannshohen Zaun, der alle Räuber und Aasfresser zuverlässig aussperrte.
An jenem Abend des 11. Mai 1914, an dem Anton Rüter seinen angefangenen Brief beiseitelegte, musste er nicht lange auf Tellmann warten. Er trug Papier und Schreibfeder ins Haus, und als er wieder hinaustrat, begrüßte ihn mit leisem Knurren eine junge Raubkatze, strich ihm um die Beine und schlug die Krallen in seine Hose. Das war Veronika, Teilmanns halbjähriges Gepardenweibchen. Ein vorbeiziehender Massai hatte Tellmann das Kätzchen listig unter die Nase gehalten, und dieser hatte nicht widerstehen können und das wollige Bündel gegen sein Taschenmesser und eine Büchse Bohnen eingetauscht, und dann hatte er das Bündel ins Haus getragen, ihm aus Schnürsenkeln und einem Stück Verbandsstoff ein Halsband geflochten und es auf den Namen Veronika getauft, weil es sich genauso rührend staksig durch die Welt bewegte wie seine erstgeborene Tochter. Seither war Veronika kräftig gewachsen und lief ihm auf Schritt und Tritt hochbeinig hinterher. Nachts schlief sie am Fußende seines Bettes, morgens folgte sie ihm zur Werft und kletterte in großen Sprüngen auf dem Skelett der Götzen umher. Während der Arbeitspausen legte sie Tellmann den Kopf in den Schoß, schaute aus ihren schönen goldbraunen Augen unverwandt zu ihm hoch und gab heisere kleine Liebeslaute von sich. Teilmann tätschelte ihr die Flanke und fütterte sie mit kleinen Stücken getrockneten Fleisches, von denen er stets eine Handvoll in der Hosentasche mit sich trug.
Veronika lief voraus in die Nacht, und Rüter und Teilmann folgten ihr gemächlich auf dem Trampelpfad, der sich in den letzten Wochen unter ihren Füßen gebildet hatte. Rüter sagte, er habe den Eindruck, dass es nicht mehr ganz so viele Stechmücken gebe wie vor ein paar Wochen, und Teilmann antwortete, dass wohl die Regenzeit zu Ende gehe. Als sie durch die Lücke im Stachelzaun Wendt’s Biergarten betraten, war dieser schon recht bevölkert. Rüter kannte die Anwesenden mit einer Ausnahme alle. Die fröhliche Dicke, die hinter drei Töpfen unterschiedlicher Größe kauerte und abwechselnd im einen und im andern rührte, war Wendts Leibköchin Samblakira; der weißbärtige Araber in weißem Turban und weißer Galabiya, der am Grill stand und Hammelkoteletts briet, war Mamadou, der
Weitere Kostenlose Bücher