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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Deutsche ohne Peitsche›.»
    Anton Rüter war unangenehm berührt. Er hatte schon von dem Übernamen gehört, den ihm die Leute verpasst hatten. Jetzt war ihm klar, dass sich das Thema nicht umgehen ließ.
    «Die Männer arbeiten gern bei dir», sagte Mkenge.
    «Das freut mich zu hören», sagte Rüter.
    «Sie arbeiten gern bei dir, obwohl die Soldaten mit geladenen Gewehren auf sie aufpassen und jeden erschießen würden, der wegzulaufen versuchte.»
    Anton Rüter schwieg.
    «Sie arbeiten gern bei dir, obwohl sie mit Gewalt, Lüge und Bestechung hierher verschleppt wurden.»
    «Ich weiß», murmelte Rüter.
    «Sie arbeiten gern bei dir, obwohl Verbrecher in falschen Uniformen bei Nacht ihre Hütten in Brand steckten, die Brunnen verschmutzten und ihre Felder zertrampelten.»
    «Ich habe davon gehört.»
    «Sie arbeiten gern bei dir, obwohl sie in Ketten gelegt und hierher entführt wurden, während ihre Frauen und Kinder schliefen.»
    «Das tut mir leid», sagte Rüter.
    «Sie arbeiten gern bei dir, obwohl ihre Frauen und Kinder sich in alle Winde zerstreut haben und ganze Dörfer, ganze Landstriche entvölkert sind. Sie arbeiten gern bei dir, obwohl ihre Großväter und Großmütter allein zurückblieben und sich mit letzter Kraft ihr eigenes Grab schaufelten, um sich hineinzulegen und sich eigenhändig mit Erde zu bedecken, damit sie nicht von den Hyänen gefressen wurden.»
    «Ich weiß», sagte Rüter.
    «Sie arbeiten gern bei dir, obwohl die Soldaten Jagd auf unsere Frauen und Kinder machen, sie als Geiseln nehmen und verhungern lassen, wenn wir nicht schuften wie die Sklaven. Man schickt uns zum Kautschuksammeln, und wenn wir am Samstag nicht genug Kautschuk bringen, hacken sie uns eine Hand ab.»
    «Das machen die Belgier drüben im Kongo», sagte Rüter rasch. «Wir Deutschen tun so was nicht.»
    «Das stimmt», sagte Mkenge. «Aber nur, weil es auf deutschem Gebiet keinen Kautschuk gibt.»
    «Was soll ich machen.»
    «Das ist alles nicht deine Schuld», sagte Mkenge.
    «Ich tue jeden Tag, was in meiner Macht steht», sagte Rüter.
    «Deswegen rede ich mit dir», sagte Mkenge. «Unter deinen Arbeitern sind zwölf von meinen Männern. Sie sind leicht zu erkennen. Großgewachsene Männer wie ich.»
    «Ich kenne sie.»
    «Sorge dafür, dass sie freigelassen werden. Sie sind Massai. Sie können nicht arbeiten.»
    «Das ist mir auch aufgefallen», sagte Rüter.
    «Wir sind Jäger, Viehzüchter und Krieger», sagte Mkenge, «aber keine Arbeiter. Lass sie gehen.»
    «Von mir aus kannst du sie abholen und mitnehmen. Jetzt gleich. Ich kann sie nicht gebrauchen. Hol sie und geh mit ihnen nach Hause.»
    «Wir würden nicht weit kommen», sagte Mkenge. «Die Askari würden uns einfangen und auspeitschen bis zum Tod. Die Männer müssen ihre Arbeitsverträge einhalten. Sie können nicht lesen und nicht schreiben, aber sie haben Verträge unterschrieben.»
    «Dann verschaffen wir ihnen eine andere Arbeit.»
    «Lass hören.»
    «Ich werde Korporal Schäffler sagen, dass ich eine Rinderherde gekauft habe und deine zwölf Massai meine persönlichen Hirten sind.»
    «Eine gute Idee», sagte Mkenge.
    «Kannst du mir jeden Tag ein Schlachtrind verkaufen? Die Verpflegung auf der Werft ist schlecht. Die Arbeiter brauchen mehr Fleisch.»
    «Du bekommst dein Rind.»
    «Nenn mir den Preis für das Rind», sagte Rüter.
    Lange blieben die zwei Männer einträchtig schweigend nebeneinander sitzen. In Wendt’s Biergarten wurde es still. Als alles Hirsebier ausgetrunken war, stand der alte Araber Mamadou auf und nahm die leere Amphore unter den linken Arm, legte zum Abschied die rechte Hand aufs Herz und verschwand im Dunkel der Nacht.
    «Kann ich dich etwas fragen», sagte Rüter zu Mkenge.
    «Frag’», sagte Mkenge.
    «Stimmt es, dass die Massai sich mit dem Gedanken tragen, sämtliche Rinder und Schafe Großbritanniens in Besitz zu nehmen?»
    Mkenge lächelte. «Wir haben den Plan sorgfältig geprüft und mussten leider Abstand von ihm nehmen. Die Ausführung wäre mit großen Problemen verbunden gewesen.»
    «Was für Problemen?»
    «Der Transport wäre nicht zu bewältigen. Laut konservativen Schätzungen hat Großbritannien derzeit einen Bestand von achtkommasieben Millionen Großvieheinheiten. Deren Rückschaffung über zwölf-bis fünfzehntausend Kilometer wäre mit den heute zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln einfach nicht zu schaffen.»
    Kurz darauf geschah etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes. Die Kugelfrau

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