Eine Frage der Zeit
überhaupt kein Motorschiff auf dem See, und die Belgier nur ein noch erbärmlicheres Dampferchen namens Alexandre Delcommune. Eines hatte Anton Rüter schon verstanden: Wenn die Götzen erst fertig wäre, die zehnmal so groß und doppelt so schnell war wie die Wissmann, würde Kaiser Wilhelm nicht nur den See, sondern ganz Zentralafrika beherrschen.
Neben dem Hafen lag die Werft – das eben fertiggestellte Dock und der nagelneue elektrische Vierzig-Tonnen-Drehwippkran, die Eisenbahnschienen, die zum Dock heranführten, und die Helling mit den stählernen Ablaufbahnen und den Rollwagen, auf denen schwarz und stolz das Gerippe der Götzen aufragte, an dem Rüter, Wendt und Teilmann montags bis samstags von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiteten. Sonntag war Ruhetag, Ordnung musste sein. Der Kiel war gelegt, der Vorder-und Achtersteven montiert und sämtliche Spanten mit den Stringern waren aufgestellt, die stählerne Außenhaut war fast vollständig hochgezogen. Anton Rüter konnte sich an dem Anblick nicht satt sehen. Das war seine Werft und sein Schiff, das hier unter dem Himmel Afrikas ein zweites Mal Gestalt annahm. Jener Schuppen dort war seine Schlosserei, daneben stand seine Tischlerei und sein Magazin, dort war sein Brennholzlager für seinen Stromgenerator, und im Negerdorf hinter dem Hügel wohnten seine Arbeiter. Hier gab es im Umkreis von tausend Kilometern keine schwarzen Benz-Automobile und keine weißen Sonnenschirmchen und keine rosa Musselinkleidchen; hier war niemand, der ihm gönnerhaft den Arm tätschelte und ihn am Fallreep stehen ließ. Hier gab es nur den See und das Schiff und zweihundert Arbeiter, und Rüter war einer von ihnen. Gemeinsam würden sie das beste und schönste Schiff ganz Afrikas bauen, und Rüter würde sorgfältig acht geben, dass er keinem Arbeiter den Arm tätschelte, und er würde niemanden am Fallreep stehen lassen. Bei der Ankunft war er sehr erleichtert gewesen, dass ihm das Rekrutieren der Arbeiter erspart blieb und hundert arbeitswillige Schwarze ihn auf der Werft erwarteten. Sie arbeiteten gut und rasch und zuverlässig, und manche von ihnen hatten auf der Missionsschule sogar Deutsch gelernt. Rüter war sehr zufrieden. Etwas irritiert hatte ihn nur, dass jeden Abend die Askari aufmarschierten, um die Arbeiter von der Werft ins Eingeborenendorf zu eskortieren, und dass jeden Morgen ein Korporal Schäffler vor ihm strammstand, um sich den Arbeitsantritt der Arbeiter schriftlich quittieren zu lassen.
Rüter zog seine Taschenuhr hervor. Es war halb sieben Uhr, Zeit fürs Abendessen, das die drei Papenburger nach stiller Übereinkunft immer gemeinsam vor Hermann Wendts Hütte einnahmen. Rüter wartete auf den alten Teilmann, der jeden Abend zuverlässig nach Einbruch der Nacht aus dem Dunkel auftauchte, ein frisches Hemd am Leib und die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und dann spazierten sie hinüber zu «Wendt’s Biergarten», wie dieser seine Bude eines fröhlichen Abends getauft hatte.
Denn selbstverständlich hatte der junge Wendt den ehrbaren Vorsatz, seinen Idealen treu zu bleiben und auf diesem Kontinent der Sklaven und Sklavenhalter sämtliche Alltagspflichten selbst zu besorgen, keine vierundzwanzig Stunden durchgehalten. Schon am ersten Abend, als er seine Bretterbude bezogen, aus Reisig einen Besen gebunden und damit begonnen hatte, vor der Tür das dürre Laub und abgenagte Schafsknochen wegzukehren, war ein altes, nacktes Hutzelweib aufgetaucht, hatte ihm wortlos den Besen aus der Hand gewunden und den Vorplatz zu wischen begonnen. Als Wendt seinen Besen zurückzuerobern versuchte, hatte das Weib laut aufgelacht und einen erstaunlich flinken Sprung beiseite getan; in der anschließenden Auseinandersetzung, welche die beiden mit Gebärden und unverständlichen Wort fetzen führten, musste Wendt sich erstens die Frage gefallen lassen, ob er denn eine Frau sei oder ein Mann, dass er sich hier mit einem Besen zum Gespött des ganzen Dorfes mache; zweitens wollte das Weib wissen, ob er etwa als mittelloser Schlucker nach Afrika gekommen sei, um hier anständigen Leuten die Haare vom Kopf zu fressen; falls das aber nicht der Fall sei und er Geld habe, wollte sie drittens wissen, ob er ein solcher Geizkragen sei, dass er alles für sich behalten und nichts ausgeben wolle; und weshalb er, falls er viertens kein Geizkragen sei, einer alten Frau nichts abgeben wolle, da diese ihn ja fünftens nicht bestehle, was ihr übrigens sechstens ein leichtes
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