Eine Frage der Zeit
Samblakira, die in ihrer kauernden Haltung längst zu schlafen schien, erhob sich in einer einzigen fließenden, rollenden Bewegung, huschte die Wand entlang und verschwand in der Tür zu Hermann Wendts Wohn-und Schlafstatt. Der junge Wendt tat, als hätte er nichts bemerkt. Die anderen Männer runzelten die Stirn und taten ebenfalls, als hätten sie nichts bemerkt, behielten aber unauffällig die Tür im Auge. Es vergingen zehn Minuten, eine Viertelstunde, ohne dass die Frau wieder auftauchte. Da wussten die Männer Bescheid. Als Erste brachen die zwei Bantumänner auf. Sie packten ihr Brettspiel ein, verabschiedeten sich von Wendt mit gespielter Beiläufigkeit und dankten ihm für dessen Gastfreundschaft. Als Nächster stand der alte Teilmann auf. Er ächzte und kraulte seine Gepardin im Nacken, sah an Wendt vorbei in die Nacht hinaus und wünschte angenehme Nachtruhe. Wendt nickte und stocherte zerstreut in der Glut des niedergebrannten Feuers. Als Tellmanns Schritte nicht mehr zu hören waren, schaute er Anton Rüter und Mkenge, seinen letzten verbliebenen Gästen, abwechselnd geradewegs in die Augen, wie um zu sagen: Und? Was habt ihr beide mir zu sagen? Mkenge schlug höflich die Augen nieder und putzte sich mit seiner Speerspitze den rechten Daumennagel, aber Rüter erwiderte Wendts Blick, worauf sich zwischen ihnen folgende stumme Zwiesprache entwickelte.
Du weißt genau, was ich dir zu sagen habe.
Gar nichts hast du mir zu sagen.
Ein Schwein bist du, das habe ich dir zu sagen.
Ich bin ein Mann, Anton – und wenigstens kein Heuchler.
Was soll das heißen?
Ich weiß, wovon du träumst, wenn du allein in deiner Hütte liegst. Ich seh’s jeden Tag, wie du den Eingeborenenmädchen auf den Hintern schielst.
Dagegen kann man nichts machen. Aber was man tut und was man nicht tut, da kann man was machen.
Dann schau dir genau an, Anton, was ich tu’ und was ich nicht tu’. Meine Haustür ist nicht abgeschlossen, siehst du?
Das macht es nicht viel besser.
Ich bin nett zu der Frau, sie ist gern bei mir.
Sie hat Familie, Hermann. Womöglich ist sie verheiratet. Du wirst sie schwängern und mit dem Kind allein lassen, wenn wir nach Papenburg zurückkehren.
Wer kann das wissen. Immerhin nehme ich mir nicht täglich eine andere, wie das die Soldaten machen. Das ist gut für mich und gut für die Frau und gut für die Hygiene.
Du sprichst, als ob es sich um deine Notdurft handelte.
Sie kommt von allein zu mir, weißt du? Es ist nicht so, dass Korporal Schäffler sie mit vorgehaltener Waffe her führen müsste. Sie ist keine Sklavin. Sie kann weglaufen, wann immer sie will.
Schweig!
Andere werden gleich ausgepeitscht, wenn sie mal weglaufen.
Darauf wusste Anton Rüter nichts zu entgegnen, der junge Wendt hatte ihn besiegt. Es war Zeit, nach Hause zu gehen. Rüter stand auf und knöpfte sich die Jacke zu. Mkenge stand ebenfalls auf und begleitete ihn zu der Lücke im Dornengestrüpp, die hinaus auf den Trampelpfad führte. Bevor sie den Lichtkegel verließen, warfen beide einen letzten Blick zurück zum Lagerfeuer.
«Gute Nacht, Hermann», sagte Rüter.
«Gute Nacht», sagte Wendt. Er sprang auf, nahm die Petroleumlampe vom Haken und rief:
«Wartet! Ich begleite euch ein Stück.»
7
Im Epizentrum menschlicher Zivilisation
Geoffrey und Amy Spicer Simson waren ekstatisch glücklich, nach vier langen Jahren wieder zurück in London zu sein. Sie bezogen dasselbe möblierte Zimmer in jener schlichten Pension nahe am Russell Square, in dem sie schon vor ihrer Abreise nach Afrika gewohnt hatten; von dort aus würde Spicer es nicht weit nach Whitehall ins Marineministerium haben. Sie stellten ihr Gepäck ab und machten einen Spaziergang, um ihr vertrautes, lang vermisstes London neu zu erkunden. Dabei war ihre erste und wohltuendste Empfindung die einer gewissen Mäßigkeit, wenn nicht Abwesenheit in allen Dingen. Es war Ende Mai, die Sonne nahe am Höchststand – aber es ging doch immer eine kühle Brise, und man geriet kaum ins Schwitzen. Die Straßen der Millionenstadt waren dicht bevölkert, und in den Markthallen und Kaufhäusern konnte es richtig eng werden – aber niemals geschah es, dass man in einem wabernden Teppich drängelnder, schubsender, stoßender Menschen gefangen wurde, wie das auf jedem afrikanischen Dorfmarkt unausweichlich geschieht. In den Parks blühten weiß und rosa die Kastanienbäume, vor saftig grünem Rasen leuchteten rot und gelb die Rosen – aber insgesamt herrschten
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