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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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er auf seinem Termitenhügel saß, und er füllte in Gedanken Seite um Seite, ohne zu ermüden. Das Unglück war nur, dass ihm nach der Jagd, wenn er an seinem Schreibtisch saß und Papier und Tinte zur Hand hatte, ums Verrecken kein Wort davon mehr einfallen wollte, oder vielleicht fielen ihm sämtliche Wörter zugleich ein und hatte er nicht den Mut, sich für ein erstes Wort zu entscheiden, dieses niederzuschreiben und dann alle anderen Wörter eins nach dem andern folgen zu lassen. So kaute er jedesmal ratlos an seiner Feder, kapitulierte schließlich und schrieb lediglich, dass es ihm gut gehe und er hoffe, zuhause seien ebenfalls alle wohlauf.
    Als Rudolf Tellmann am Sonntagabend, dem 9. August 1914, von der Jagd zurückkehrte, wimmelte es in Kigoma von Soldaten, und zwar nicht von schwarzen Askari, sondern von rotgesichtigen deutschen Marinesoldaten. Ihre Stiefel wirbelten Staub auf, die Koppel klackten, die Unteroffiziere brüllten Befehle. Der Ort war nicht wiederzuerkennen. Kinder weinten, Frauen nahmen sie auf den Arm und liefen davon, Männer verschränkten die Arme und machten düstere Gesichter. Auf dem Bahnhofsplatz wurden Gräben ausgehoben, Bäume gefällt und Geschütze aufgestellt. Auf dem Gleis stand ein Zug, der vor kurzem angekommen sein musste und noch immer unter Dampfstand. Eine Hundertschaft Askari war damit beschäftigt, Holzkisten aus den Güterwagen auszuladen. Das alles war Teilmann nicht geheuer. Er wollte jetzt einfach mal nach Hause gehen und ein frisches Hemd anziehen, und um halb sieben würde es in Wendt’s Biergarten Abendessen geben. Er schlug einen weiten Bogen um den Hafen, da dort alles voller Soldaten war. Manche türmten Sandsäcke aufeinander und bauten Geschützstellungen, andere rollten Stacheldraht aus oder errichteten Latrinen, schlugen Zelte auf und gruben Regenrinnen. Zehn Männer mühten sich damit ab, von der Kaimauer aus eine Kanone auf das Deck der Hedwig von Wissmann zu hieven. Das kleine Schiff geriet unter den Soldatenstiefeln heftig ins Schaukeln, als ob es sich auf hoher See befände, und schlug Mal um Mal seitlich gegen die Mauer, bis endlich ein Offizier Befehl gab, die Taue straffer zu spannen. Gerade als Teilmann in den Trampelpfad einbiegen wollte, der hinaus auf die Landzunge und zu den Häusern der drei Papenburger führte, versperrten ihm zwei Korporale mit gefällten Bajonetten den Weg.
    «Halt, stehen bleiben», sagte der eine.
    «Parole», sagte der andere.
    «Der Teilmann Rudolf bin ich», sagte Teilmann.
    «Ihre Papiere», sagte der eine.
    «Was ist das denn für ein Vieh», sagte der andere und deutete auf Veronika.
    «Papiere habe ich nicht bei mir», sagte Tellmann, «und das ist meine Hauskatze. Jetzt lassen Sie mich durch.»
    «Ihr Gewehr ist beschlagnahmt», sagte der eine.
    «Das wollen wir doch mal sehen», sagte Tellmann.
    «Wie ist Ihr Name noch mal?», fragte der andere, der nun einen Stapel Briefumschläge in der Hand hielt. «Tellmann?»
    «Der bin ich», sagte Tellmann.
    «Sie können passieren», sagte der andere. «Das Gewehr ist Ihre persönliche Ausrüstung. Hier, für Sie.»
    Der Soldat reichte Tellmann einen Umschlag. Der Brief trug eine große Siegelmarke, Absender war das Kaiserliche Bezirksamt Kigoma. Tellmann wunderte sich; er hatte nicht gewusst, dass es in Kigoma ein Kaiserliches Bezirksamt gab. Er öffnete den Brief und las:
     
    Sie werden hierdurch aufgefordert, sich innerhalb eines Tages nach Erhalt dieser Benachrichtigung bei der unterzeichneten Amtsstelle einzufinden und Ihren Pass und, falls Sie Reichsdeutscher sind, Ihre Militärpapiere vorzulegen.
    Zu Ihrer Information wird Ihnen mitgeteilt, dass sich das Deutsche Reich und seine Kolonien seit Anfang dieses Monats mit Russland, Frankreich, Belgien und England im Kriegszustand befinden.
     
    Kigoma, 8. August 1914
    Der Kaiserliche Bezirksamtmann:
    gez. Gustav W. von Zimmer
     

 
    9
    Wenn im Herbst die Blätter von den Linden fallen
     
     
     
    Oberleutnant Geoffrey Spicer Simson hatte gerade Landurlaub, als die Zeitungen in großen Lettern Großbritanniens Kriegserklärung an das Deutsche Reich verkündeten. Nach dem Frühstück zog er seine Paradeuniform an, legte die Aktenmappe mit den Papieren griffbereit neben die Tür und wartete auf den Augenblick, da das Ministerium sich bei ihm melden würde. Spicer war ganz sicher, dass das Ministerium sich melden würde. Er hielt es für ausgeschlossen, dass man ihn weiter schnapsschmuggelnde Fischkutter jagen

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