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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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ließ, während die Zukunft des Britischen Empire auf dem Spiel stand. Jetzt, da die Marine das letzte nur einigermaßen kriegstaugliche Schiff aus den Docks hervorholte und auf jeden erfahrenen Offizier dringend angewiesen war, konnte man ihn unmöglich ein weiteres Mal vergessen, übergehen, zurückweisen, übervorteilen. Spicer wusste, dass die Zeit gekommen war, und dass er im richtigen Augenblick seines Lebens am richtigen Ort war. Wenn es noch einen letzten Rest an Gerechtigkeit und Vernunft gab auf Erden, musste ihm jetzt die lang ersehnte, der Größe seines Ehrgeizes angemessene Aufgabe zuteil werden.
    Tatsächlich war die Lage ernst. Die deutsche Wehrmacht hatte in den ersten Kriegstagen das neutrale Belgien überrannt und die Häfen von Antwerpen, Ostende und Zeebrügge in Besitz genommen. Deutsche Marinekommandos enterten neutrale Handelsschiffe und versuchten unerkannt durch die britische Blockade zu schlüpfen. Im Ärmelkanal lieferten sich britische und deutsche Kanonenboote erste Seegefechte. Britische Kreuzer beschossen deutsche Stellungen in den belgischen Dünen. Und in den belgischen Häfen, beinahe in Sichtweite der englischen Küste, bereiteten deutsche U-Boote die Invasion Englands vor.
    In dieser Lage konnte es nicht ausbleiben, dass die Königliche Marine Spicer Simson zu Hilfe rief. Zwar musste er sich noch eine Weile gedulden und weiter Dienst auf der Harrier leisten, aber am Montag, 2. November 1914, war es so weit. Das Ministerium vertraute ihm das Kommando über eine Flottille von zwei Minensuchschiffen und sechs Hafenschleppern an. Spicers Aufgabe war es, den Schiffsverkehr auf feindliche Bewegungen zu kontrollieren und die Themsemündung nach Minen abzusuchen. Auf den ersten Blick schien auch diese Mission nicht geeignet, seinen Durst nach Abenteuer und Nachruhm zu stillen, denn die Themsemündung war in jenem November 1914 das wohl bestbewachte Gewässer der Welt; es schien extrem unwahrscheinlich, dass hier in nützlicher Frist ein feindliches Geschwader auftauchen würde, um ihm ein heroisches Gefecht zu liefern. Aber Spicer war Soldat genug, um zu wissen, dass sich die großen Dramen der Weltgeschichte manchmal zu überraschenden Zeitpunkten an den unerwartetsten Orten abspielen. So blieb er auf der Hut und versah gewissenhaft, umsichtig und mit großem persönlichen Einsatz seinen Dienst.
    Tatsächlich entschloss sich das Schicksal unerwartet rasch, Spicers dienstlicher Routine an der Themsemündung mit einem kurzen, aber wirkungsvollen Drama ein Ende zu bereiten. Das Drama brachte Feuer, Zerstörung und Pulverdampf und fand erheblichen Niederschlag in der Weltpresse – aber ungerechterweise verwehrte es Oberleutnant Spicer Simson jede Gelegenheit, sich im Kampf zu bewähren und seinen Namen im großen Buch der Menschheitsgeschichte festzuschreiben. Im Gegenteil: Das Unglück, das Spicer am Mittwoch, 11. November 1914, ereilte, war genauso bizarr und absurd wie sein ganzes bisheriges Leben. Acht Tage war es erst her, dass er das Kommando seiner Flottille übernommen hatte. Acht Tage war er ohne jeden Landgang gewissenhaft auf Patrouille gewesen, hatte seine Schiffe und deren Besatzungen aufs Genaueste inspiziert und sorgfältig Logbuch geführt, Berichte an seine Vorgesetzten geschrieben und Nacht für Nacht in der Kapitänskajüte seines Flaggschiffs, der HMS Niger, geschlafen. Am Morgen des neunten Tages leistete er sich eine wohlverdiente, außerdienstliche kleine Freiheit. Er ging mit der Niger, einem zweiundzwanzigjährigen, zum Minensucher umgebauten Kanonenboot von achthundertzwanzig Tonnen, beim Badeort Deal nördlich von Dover vor Anker und suchte mit dem Fernglas den Kieselstrand ab, wo wie verabredet seine Gattin Amy und ihre Freundin Shirley Hanschell auf ihn warten mussten. Shirleys Ehemann hatte sich vom Krankenhausdienst nicht freimachen können und war in London zurückgeblieben. Wie Spicer nach einigem Suchen feststellte, waren die Damen tatsächlich gekommen, aber sie standen nicht am Strand, sondern am Pier, hielten ihre Regenschirme gegen den Wind und winkten ihm aufgeregt zu. Natürlich war der Pier eine strikt zivile Anlage für Vergnügungsdampfer und Personenfähren, aber für einen Augenblick zog Spicer in Erwägung, mit seinem Kriegsschiff kurz hinzufahren, anzulegen und die Ladies mit der gebotenen Grandezza an Bord zu nehmen. Schließlich obsiegte die Vernunft über die Galanterie. Er gab Befehl, ein Landungsboot zu Wasser zu lassen und die Ladies

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