Eine Frage der Zeit
sähen sie das nicht. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang gingen sie mit grimmiger Entschlossenheit an den Wachen vorbei zur Werft, um bis zur Abenddämmerung an der Götzen zu arbeiten. Nur einen Steinwurf von ihnen entfernt nietete auf Geheiß des Kapitänleutnants Rudolf Teilmann auf einer behelfsmäßigen Helling die zersägte Kingani zusammen. Dabei würdigte er die Götzen keines Blickes. Rüter und Wendt riefen und winkten ihm zu, liefen mehrmals täglich hinüber und boten ihm ihre Hilfe an, redeten übers Wetter oder luden ihn zum Essen ein, aber Tellmann nietete stets stumm weiter, als würde er nichts hören und nichts sehen. Eines Tages hatte er die letzte Niete gesetzt, und die Kingani stand wiederhergestellt auf der Helling, als sei sie nie in vier Teile zersägt worden. Die Schnittstellen waren nicht mehr zu sehen, und auf ihrer Back stand ein nagelneues Maxim-Maschinengewehr. Da winkte Tellmann die wachhabenden Askari zu sich und drückte ihnen ein paar Trossen in die Hand, schlug die Pallen weg und ließ das Schiff ohne jedes Zeremoniell zu Wasser. Und als er sah, dass sie gut im Wasser lag und die Askari keine Schwierigkeiten haben würden, sie zum Kai hinüberzuziehen und festzubinden, ging er grußlos weg, verschwand in der Kaserne und kehrte nicht mehr zur Werft zurück.
Ihre Abende verbrachten Rüter und Wendt beisammen im Biergarten, den sie nun, da die kleine Regenzeit vorbei war, wieder hergerichtet hatten. Sie aßen die Eintöpfe, die der junge Wendt kochte, und sie tranken das Hirsebier, das Rüter nun selber braute, und gaben sich in allem ganz unbefangen, als bemerkten sie den Wachtposten nicht, der Tag und Nacht sein Maschinengewehr auf den Biergarten gerichtet hielt. Sie erzählten einander lauthals Papenburger Geschichten, die sie schon hundertmal gehört und erzählt hatten, und sie sangen plattdeutsche Lieder, und immer wieder versicherten sie einander, dass der Krieg nicht mehr lange dauern könne, und dass sie schon bald heim nach Papenburg fahren würden.
Eines Abends, als sie dem Hirsebier besonders ausdauernd zugesprochen hatten, schlief Rüter auf einer geflochtenen Matte vor Wendts Haustür ein, und dieser deckte ihn mit einer Decke zu. Anderntags holten sie Rüters Bett aus dessen Bretterbude und stellten es in Wendts Hütte auf, und von da an wohnten die beiden unter einem Dach.
Der Kapitänleutnant besichtigte die Baustelle nun täglich. Manchmal, wenn Wendt und Rüter Arbeiten im Freien ausführten, setzte er sich in den Schatten einer Würgefeige, steckte sich eine Zigarette an und schaute zu. Arbeiteten sie im Innern, kam er an Bord und erkundigte sich in höflichem, aber misstrauischem Ton nach dem Fortgang der Arbeiten. Eines Tages aber kam er gerade hinzu, als Wendt und Rüter eine Antriebswelle aus dem Heck der Götzen herauszogen; Wendt bediente den Drehwippkran, Rüter stand am Bug und dirigierte durch Handzeichen.
«Gefreiter Rüter, was soll das – Sie sollen das Schiff zusammenbauen, nicht auseinandernehmen!»
«Die Antriebswellen sind verbogen, Kapitänleutnant. Wir müssen sie auswuchten.»
«Stopp, Halt! Das ist ein Befehl. Sie auch, Wendt.» Der Kapitänleutnant musterte misstrauisch die Antriebswelle, die zur Hälfte im Freien schwebte. «Das Ding macht mir eigentlich einen recht geraden Eindruck.»
«Die Unwucht ist mit bloßem Auge natürlich nicht zu erkennen. Trotzdem verursacht sie starke Vibrationen.»
«Ach ja?»
«Sehr starke Vibrationen, Kapitän. Wenn Sie sich selbst einen Eindruck verschaffen wollen, kann ich die Welle gern wieder einbauen und die Maschine einheizen. Das wird allerdings einen oder zwei Tage dauern.»
«Werden Sie nicht keck. Wie ist das möglich – wie kann sich derart dicker Stahl verbiegen?»
Rüter zuckte mit den Schultern. «Die afrikanische Hitze vielleicht.»
«Quatsch. Das Klima macht dem Stahl nichts, das wissen Sie genau. In ganz Afrika ist es nirgends so heiß wie in Ihrem Maschinenraum.»
«Ein Fabrikationsfehler möglicherweise. Oder unsachgemäße Lagerung während des Transports. Oder fehlerhafte Montage.»
«Interessant. Wer wäre dafür verantwortlich?»
«Ich, in jedem Fall. Bis zum Stapellauf bin ich, was immer geschieht, für das ganze Schiff verantwortlich.»
«Was passiert, wenn wir die Welle einfach drin lassen und sie nicht auswuchten?»
«Das wäre sehr gefährlich. Unter derart starken Vibrationen würden die Nieten brechen und die Schrauben sich lösen.»
«Sicher?»
«Ganz sicher. In
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