Eine Frage der Zeit
Gefangenen. Ein wirklich hübsches Baby haben Sie da, Madam, Kompliment.»
«Wollen Sie uns alle umbringen? Runter von diesem Schiff, und zwar sofort!»
«Andererseits, Madam, müssen Sie doch einsehen, dass ich und meine Männer dieses Risiko ganz offensichtlich klaglos eingehen, nicht wahr? Gibt es da irgendeinen Grund, weshalb man das Gleiche nicht auch von Ihnen erwarten könnte? Ist Ihr Leben und das Ihres Kindes vielleicht kostbarer als meines? Sind Sie mehr wert als meine Männer hier?»
«Sie… Sie sind…» Die junge Frau war sprachlos.
«Na sehen Sie! Nur Mut, Madam! Wissen Sie was, ich kann Sie beruhigen: Die Deutschen werden dieses Schiff nicht torpedieren. Die haben keine Ahnung, dass ich und meine Männer an Bord sind. Unsere Mission ist geheim, Madam, streng geheim. Außer Ihnen und mir weiß nur noch der König, dass wir hier sind. Und falls es, was Gott verhüten möge, trotzdem zum Äußersten kommen sollte, wäre es für Sie und Ihr Baby doch eine große Ehre, gemeinsam mit der königlichen Marine unterzugehen. Habe ich nicht recht?»
Sprach’s und verschwand gespreizten Schrittes im Inneren der Lianstephen Castle , während die Schiffssirenen das Auslaufen des Schiffes verkündeten und jedes weitere Gespräch unmöglich machten.
16
Pampige Süßkartoffeln
In den Tagen nach Mkenges Auspeitschung wurde es still in Wendt’s Biergarten. Mkenge selbst kam nie wieder zu Besuch, und die zwei Bantumänner Mkwawa und Kahigi spielten ihr Brettspiel woanders. Ein herber Schlag für Hermann Wendt und Anton Rüter war auch, dass der Hirsebierbrauer Mamadou seine Lieferungen von einem Tag auf den anderen einstellte. Am schwersten aber wog, dass auch Samblakiras Besuche ausblieben. Sie brachte kein Frühstück mehr und auch kein Mittagessen, weder zur Werft noch in den Biergarten, noch kam sie abends oder in der Nacht – weder zu Anton Rüter noch zu Hermann Wendt.
Die beiden stellten sich ihrer unverschuldeten Einsamkeit mit ruhiger, handwerklicher Entschlossenheit. Da keine Lebensmittel mehr vorhanden waren, musste man welche beschaffen, und weil sie nun auf sich allein gestellt waren, rückten sie näher zusammen. Anton Rüter sorgte dafür, dass ihnen täglich Brennholz, Bohnen, Süßkartoffeln sowie ab und zu ein Hähnchen geliefert wurden. Anfangs zierten sich die arabischen Händler zwar und versuchten das Geschäft zu vermeiden, bei dem man so leicht die Nilpferdpeitsche des Kapitänleutnants zu spüren bekommen konnte; aber da Rüter andererseits immer noch Werftleiter und ein wichtiger Kunde war, und weil er die orientalische Diplomatie von unterwürfiger Freundlichkeit und sanfter Nötigung perfekt beherrschte, lieferten sie ihm das Gewünschte schließlich in vollem Umfang, wenn auch zu überhöhten Preisen.
Der junge Wendt, der von Samblakira einiges über die Zubereitung afrikanischer Speisen gelernt hatte, übernahm die Küche. Zu Beginn gerieten ihm die Hähnchen noch zäh, die Bohnen fad und die Süßkartoffeln pampig, aber das war für ihn kein Grund aufzugeben, sondern Anlass zum Nachdenken; rasch fand er heraus, dass sich in den Kochtöpfen keinerlei Metaphysik, sondern nur das dialektische Wechselspiel von Garzeiten und Kochtemperaturen, Salzmengen und Topfvolumina abspielte. Und als er auch noch entdeckte, dass die Küchenmechanik – genauso wie jene des Schiffbaus oder der Weltgeschichte – erst unter Beifügung einer Prise Wahnsinn zum gewünschten Erfolg führt, gerieten ihm die Hammelragouts und Gemüseeintöpfe bald beinahe so gut wie jene von Samblakira.
Schwieriger zu beheben war die Einsamkeit. Rüter und Wendt hatten rasch begriffen, dass Samblakira, Mkenge, Mamadou, Mkwawa und Kahigi sich nicht etwa deshalb von ihnen fernhielten, weil sie ihnen die Freundschaft gekündigt hätten, sondern weil sie um ihr Leben fürchteten. Das war verständlich. Denn bevor der Kapitänleutnant auf Feindfahrt gegangen war, hatte er auf dem obersten Punkt der Landzunge, von dem aus man einen schönen Ausblick auf Wendt’s Biergarten hatte, einen bewaffneten Kontrollposten einrichten lassen, der Tag und Nacht doppelt besetzt und offensichtlich beauftragt war, jeden Passanten, der sich hinaus auf die Landzunge wagte, unter Festhaltung der Personalien und der Uhrzeit zu protokollieren. Auch die Werft und die Götzen wurden nun rund um die Uhr streng bewacht, und die Lagerhäuser wurden nachts von allen Seiten mit Fackeln beleuchtet.
Rüter und Wendt taten, als
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