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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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kürzester Zeit.»
    «Na gut, dann machen Sie weiter, bauen Sie das Ding aus.»
    Der Kapitänleutnant zog sich den Tropenhelm tief ins Gesicht und wandte sich zum Gehen, und Rüter gab Wendt ein Zeichen, mit dem Kran nach links zu schwenken. Nach wenigen Schritten aber blieb von Zimmer erneut stehen und fasste sich mit den Fingerspitzen an die rechte Schläfe, als sei ihm gerade noch etwas eingefallen.
    «Sagen Sie, Rüter, wo ich schon mal hier bin: Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen müsste?»
    «Wie meinen Sie, Kapitän?»
    «Gibt es noch andere Schwierigkeiten, die uns Zeit kosten könnten?»
    «Wie man’s nimmt. Es verschwinden Dinge.»
    «Was für Dinge, verflucht noch mal?»
    «Aus den Materialschuppen werden dauernd Sachen gestohlen.»
    «Dauernd? Was soll das heißen, Mann?»
    «Fast jede Nacht. Es verschwinden kistenweise Lichtschalter, Messingschrauben, Dichtungsringe.»
    «Das ist unmöglich. Die Schuppen werden streng bewacht.»
    «Wahrscheinlich schleicht sich jemand an den Wachen vorbei. Oder die Wachen sind bestochen. Letzte Woche waren plötzlich die Bullaugen nicht mehr da. Dann die Davits, die Blöcke und die Halterungen für die Rettungsboote. Und seit gestern fehlt der große Anker.»
    «Und Sie sagen mir das jetzt erst?»
    «Sie haben mich nicht danach gefragt, Herr Kapitänleutnant.»
    «Keine Frechheiten, Rüter, ich warne Sie ein letztes Mal!»
    «Jawohl, Herr Kapitänleutnant.»
    «Und nun?»
    «Wendt und ich tun unser Möglichstes, die fehlenden Teile zu ersetzen. Wir basteln Lichtschalter und drehen neue Schrauben. Wir bauen einen Anker aus überzähligen Eisenbahnschienen. Anstelle der Bullaugen setzen wir runde Blechstücke ein. Das braucht natürlich Zeit. Aber das Schiff wird schon fertig, machen Sie sich keine Sorgen.»
    «Wann?»
    «In einem Monat vielleicht. Falls nicht noch mehr Sachen verschwinden.»
    «Das ist zu spät.»
    «Wenn uns Teilmann zur Hand gehen könnte, kämen wir rascher voran.»
    «Sie wollen den Teilmann wiederhaben, wie?»
    «Damit wäre uns allen gedient.»
    «Sie treiben es wirklich auf die Spitze, Rüter.»
    «Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass wir in einem Monat fertig sind. Vielleicht dauert es auch zwei oder drei Monate, das kommt ganz drauf an.»
    «In Ordnung, Sie bekommen Teilmann. Aber damit ist meine Geduld am Ende, nehmen Sie sich in acht.»
    «Das tue ich.»
    «Sie können das Spotten nicht lassen, wie? Das ist Ihre große Schwäche, Gefreiter Rüter. Ihr Hochmut wird Sie noch mal den Kopf kosten.»
    «Zu Befehl, Herr Kapitänleutnant. Erlauben Sie mir vorzuschlagen, dass man in nächster Zeit die Wachen verstärken und mit den zuverlässigsten Männern besetzen sollte.»
     

 
    17
    Paraden in der Steppe
     
     
     
    Albertville, 28. Oktober 1915
    Meine geliebte Shirley! Vier Monate nach unserem letzten Kuss finde ich endlich Gelegenheit, Dir heimlich ein paar Zeilen zu schreiben. In der Zwischenzeit habe ich allerhand erlebt, was ich Dir gleich berichten will, aber eines vorweg: Nachdem ich nun den ganzen Atlantik von Nord nach Süd durchquert habe und dann in Gegenrichtung halb Afrika, wobei ich zweimal mit dem Fahrrad vor einer Horde wütender Paviane flüchten musste und einmal versehentlich einen Steppenbrand entfachte, weil ich zum Schutz unserer Gesundheit eine verseuchte belgische Polizeistation in Brand steckte, worauf beinahe unsere zwei hölzernen Kanonenboote in Flammen aufgegangen wären – nach all diesen und vielen anderen Erlebnissen, während derer ich mehr von diesem Globus gesehen habe, als alle meine Ahnen zusammengenommen haben sehen dürfen – nach all dem muss ich Dir sagen, dass im Grunde genommen während der gesamten Reise mein Abenteuer immer nur einen Namen trug: Geoffrey Basil Spicer Simson. Ich hatte mich ja, Du erinnerst Dich, vor der Abreise auf allerhand gefasst gemacht. Aber dem Commander ist es doch während der ganzen vier Monate stets ein Leichtes gewesen, mich Tag für Tag aufs Neue zu verblüffen.
    Das fing schon am ersten Abend auf See an, beinahe noch in Sichtweite der englischen Küste, als ich mich nach dem Dinner in eine Ecke des Rauchsalons setzte, um mein Versprechen, Dir so oft als möglich zu schreiben, ein erstes Mal einzuhalten. Plötzlich stand wie aus dem Boden gewachsen Commander Spicer vor mir, türmte sich himmelhoch auf und fragte mich streng, ob ihn der Eindruck etwa täusche, dass ich hier einen Brief schreibe? Der Eindruck sei richtig, entgegnete ich wahrheitsgemäß, ich sei

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