Eine Frage der Zeit
davon aus, dass Soldaten oder Zivilangestellte der amerikanischen Streitkräfte die Gemälde in die Staaten geschmuggelt haben“, erinnerte sich Meister. „Damals wurde die Waldenthaler US-Garnison gerade aufgelöst. Militärmaterial und Ausrüstungsgegenstände wurden im großen Stil nach Amerika verschifft. Es wäre kein großes Problem gewesen, auch ein paar Bilder in den Containern zu verstecken.“
„Das würde aber bedeuten, dass eine Organisation hinter dem Raub steckte“, unterbrach ihn Velten. „Da wären zum einen die Diebe, vermutlich Angehörige der Army, die das Museum überfallen haben, und zum anderen deren Komplizen in den USA, die die Kunstwerke wieder aus den Containern holten.“
„Ganz richtig“, stimmte ihm Meister zu. „Es wäre sicher nicht übertrieben, von organisierter Kriminalität zu sprechen. Und Sie denken, dass diese alte Sache und der Mord an Rothaar zusammenhängen?“
„Das wäre doch immerhin möglich.“
Meister runzelte die Stirn: „Das kann ich mir nicht vorstellen, Herr Velten. Der Bilder wurden vor rund zwanzig Jahren geraubt, die Versteigerung hätte vor einem Jahr stattfinden sollen und dieser Rothaar wurde am Montag ermordet. Wie erklären Sie sich die großen zeitlichen Abstände zwischen den Ereignissen.“
Auf diese Frage hatte Velten keine Antwort.
„ Wie genau bekam die Stadt im letzten Sommer Wind von der geplanten Auktion?“, frage Marcks
„Meike Winter, die Stadtarchivarin und Leiterin unseres Museums, erhielt einen telefonischen Hinweis auf die Auktion. Der Rest war einfach. Die Exponate, die versteigert werden sollten, waren im Internet abgebildet. Meike, Frau Winter, erkannte darunter sofort zwei der gestohlenen Hofstetter-Gemälde. Wir wandten uns an die Polizei, die informierte die US-amerikanische Botschaft und von dort wurde das FBI eingeschaltet. Ein paar Monate später hingen die Bilder wieder in unserem Museum. Die glückliche Heimkehr der verschollenen Hofstetter verschaffte Waldenthal damals weltweite Publicity.“
„Von wem kam der telefonische Tipp?“, hakte Marcks nach.
„Das haben wir nie herausgefunden. Meike Winter wurde auf ihrem privaten Festnetzanschluss von einer Frau angerufen, die ihren Namen nicht nannte.“
Die beiden Journalisten erkannten, dass sie von Frank Meister nichts erfahren konnten, das ihnen weiterhelfen würde. Sie verabschiedeten sich von ihm und verließen das Rathaus. „Was jetzt?“, fragte Marcks, als sie wieder vor dem Rathaus standen. Die Sonne brannte unerbittlich von einem strahlendblauen Himmel.
„Die Hofstetter-Sache bringt uns im Moment nicht weiter“, sagte Velten nachdenklich. „Wir müssen uns wieder auf die Ermordung von Konstantin Landau und die geraubten Impressionisten konzentrieren. Lassen Sie uns wieder zur Mausefalle fahren. Vielleicht haben wir ja heute Glück und treffen Bernd Fleischmann in seinem Club an. Wir gehen zurück zum Pressehaus und nehmen den Golf.“
Vom Rathaus bis zum Morgenkurier waren es nur ein paar Minuten. In der schwülwarmen Hitze war der Weg trotzdem kein Vergnügen. Velten war froh, in seinem Wagen die Klimaanlage einschalten zu können. Es waren nur wenige Kilometer bis zu dem ehemaligen Kasernengelände und der früheren Militärkirche, die jetzt als skurriles Domizil für Fleischmanns Nachtclub diente. Er nahm die Abfahrt von der B270 und ließ den Wagen auf dem Kiesweg vor der Mausefalle ausrollen.
Sie stiegen aus und wollten eben die Treppe zu der großen doppelflügeligen Pforte hinaufgehen, als sie von der Seite der Kirche das Klappern von Flaschen hörten. Sie gingen also um die Ecke und sahen das Hinterteil eines hünenhaften Mannes, dessen Oberkörper im Kofferraum eines rosafarbenen Cadillac steckte. An den düsenartigen Doppelrückleuchten und den gigantischen Heckflossen identifizierte Velten den Straßenkreuzer sofort als 59er Modell. Einen Wagen des gleichen Typs hatte auch Stürmer gefahren.
Der Mann wuchtete einen Karton mit der Aufschrift einer amerikanischen Whiskey-Destillerie aus dem Auto. Als er sich umdrehte, entdeckte er Velten und Marcks. Er glotzte sie einen Moment blöde an, dann trug er die Kiste wortlos in den Seiteneingang der Kirche. Nach wenigen Sekunden kam er wieder hinaus, zündete sich eine Zigarette an und brummte: „Wer seid ihr denn?“
„Max Velten vom Waldenthaler Morgenkurier , das ist meine Kollegin Katja Marcks. Sind Sie Bernd Fleischmann?“
„In voller Schönheit“, antwortete der Zuhälter.
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