Eine Frage der Zeit
zusammen mit Landau gefunden“, widersprach Marcks. „Die Mörder hatten ja keinen Grund, nach dem Kunstraub zwei Tage zu warten, Thomas Schatz dann zu töten und seine Leiche verschwinden zu lassen.“
„Was weiß denn ich. Jedenfalls ist er tot. Allerdings rückt die Lebensversicherung die Kohle nicht heraus, solange es keinen Totenschein gibt. Können Sie da nicht irgendwas machen? Sie könnten doch in ihrer Zeitung schreiben, dass er tot ist.“
„Das würde die Versicherung sicher nicht beeindrucken“, wiegelte Velten ab.
„Hätte ja sein können. Ich muss jetzt zum Einkaufen. Wenn Sie also keine Fragen mehr haben, darf ich um den Fuffi bitten, den die Frau am Telefon mir versprochen hat.“
Velten zog seinen Geldbeutel aus der Tasche und schob einen Fünfzig-Euro-Schein über den Tisch. „Die Firma dankt“, sagte Nicole Hammes. „Und Sie denken daran, dass ich nicht in der Zeitung stehen will, verstanden?“
„Natürlich, wir behandeln das Gespräch vertraulich“, sagte er und erhob sich. „Machen Sie sich keine Umstände, wir finden alleine zur Tür.“
„Charmante Person“, sagte Marcks, als sie wieder im Auto saßen. „Haben Sie gesehen, wie verdreckt die ganze Wohnung war?“
„Ja, man hätte vom Boden essen können, es lag ja genug herum.“ Velten musste vom Gas gehen, weil ein Müllwagen die Straße blockierte. „Viel Neues haben wir von der Hammes nicht erfahren. Die fünfzig Euro hätten wir besser bei Luigi investiert.“
„Wie kann eine Mutter ihr Kind nur in so einem Schmutz aufwachsen lassen?“, sagte Marcks zornig. „Ich hätte den kleinen Jungen am liebsten mitgenommen.“
Velten schwieg. Er hatte sich längst daran gewöhnt, dass nach dem Niedergang der Schuhindustrie viele Waldenthaler ins soziale Nichts abgestürzt waren. Vor allem in den ehemaligen Arbeitersiedlungen lebten Tausende Menschen, die sich schon vor langer Zeit aufgegeben hatten. Nicole Hammes gehörte dazu.
Marcks atmete tief durch. „Nun ja, immerhin hat sie die Einschätzung von Frau Staller bestätigt, dass Thomas Schatz zu einem Mord nicht fähig gewesen wäre. Das deckt sich mit meiner Vermutung, dass er bei dem Kunstraub und der Ermordung von Konstantin Landau bestenfalls eine Nebenrolle gespielt hat. Die Haupttäter waren Stürmer und Rothaar.“
Velten grübelte eine Weile vor sich hin. „Kann schon sein. Aber Stürmer ist seit drei Jahren tot und Rothaar wurde vor ein paar Tagen umgebracht. Und wenn es stimmt, dass sich Schatz wegen des ungeborenen Kindes niemals freiwillig aus dem Staub gemacht hätte, spricht viel dafür, dass auch er nicht mehr lebt. Das bedeutet, dass alle Hauptverdächtigen an dem Landau-Mord ermordet wurden.“ Einer der Müllwerker winkte den Mercedes durch. Velten bedankte sich mit einem Kopfnicken und fuhr vorbei. „Irgendjemand mischt noch mit in diesem Spiel und hinterlässt seine Spuren in der Waldenthaler Kriminalstatistik.“
„Womit wir wieder bei Fleischmann wären“, setzte Marcks seinen Gedankengang fort. „Und die Rolle unseres Chefredakteurs ist auch noch unklar. Wie machen wir also weiter?“
„Erst einmal mit dem aufregenden Alltag eines Lokaljournalisten. Wir müssen die Redaktionskonferenz ertragen, Agenturmeldungen checken, Pressemitteilungen lesen und ein paar Nullachtfünfzehnartikel für die morgige Ausgabe schreiben. Und um halb zwei fahren wir nach Saarbrücken zur Galerie Linaud.“
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„Nehmen Sie bitte Platz, ich werde Herrn Linaud sagen, dass Sie hier sind“, sagte das dünne Mädchen mit den kurzen blonden Haaren. Ihr ebenso hübsches wie ausdrucksloses Gesicht wurde von einer viel zu großen Nerd-Brille verunstaltet.
Velten und Marcks setzten sich auf die unbequemen Designerstühle und sahen sich in der weitläufig geschnittenen Galerie um. Unaufdringliche Lounge-Musik drang aus versteckten Lautsprechern und von irgendwoher wehten aromatische Düfte in den Raum. An den grob verputzten Wänden hingen großformatige Aquarelle. Die meisten der farbenfrohen Gemälde zeigten abstrakte Frauenkörper ohne Gesichter in lichtdurchfluteten mediterranen Landschaften. Velten, der nicht viel für moderne Kunst übrig hatte, schenkte den Werken keine Beachtung.
Marcks hingegen konnte sich gar nicht satt sehen: „Die Bilder sind unglaublich schön. Genau mein Geschmack.“
„Etwas zu teuer für uns“, entgegnete er. Für die Werke der Künstlerin, deren Namen er noch nie gehört hatte, verlangte die Galerie durchweg
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